Helmuth Karasek: Zur Stern-Klage

Helmuth Karasek, 1978

Der nachstehende Artikel wurde eigentlich für den „Spiegel“ geschrieben … Autor ist „Spiegel“-Ressortleiter Karasek. Doch seinem Verleger paßte dieser Bericht nicht: Wenige Stunden vor Druck zog Augstein den Artikel zurück und ließ sein Nachrichtenmagazin am darauffolgenden Montag lieber ohne ein Wort über den Prozeß erscheinen …

Ein Sommerjux sollte es sein, dachte Mann, ein Füller und Knüller für die Saure-Gurkenzeit, eingeschoben zwischen ernstere Überlegungen vom unaufhaltsamen Filbinger-Sturz in Raten bis zum Carter-Besuch in Bonn und Berlin: Alice Schwarzer und andere Frauen hatten sich durch Titelbilder des „Stern“ beleidigt gefühlt; die Rechtsanwältin Dr. Gisela Wild erhob Klage, wollte gerichtsnotorisch festgeschrieben wissen, daß der „Stern“ mit seiner Cover-Parade von Busen und Hintern ein frauenfeindliches, frauenunterdrückendes Männerwunschbild der Frau erzeuge und bestätige, das die Würde der Frau verletze.

Das konnte doch nichts anderes als ein Jux sein, oder, schlimmer: eine Public Relation-Orgie von Frauen wie die Meisel, Erika Pluhar, Alice Schwarzer, Margarete Mitscherlich, die dem auflagenstarken „Stern“ eins auswischen wollten, um ihrer „Emma“ eins zuzubuttern. Doch als der Termin anberaumt war, kam alles anders. Das Gericht mußte wegen des starken Andrangs vom Landgerichtszimmer 633 in den Plenarsaal des Hamburger Oberlandesgerichts umziehen – so groß war das öffentliche Interesse.

Und wer dieses Interesse als sommerliche Laune, um jeden Preis ein Gerichtshappening zu veranstalten, mißdeutet hatte, sah sich rasch eines anderen belehrt:

Zwar gab es im überhitzt dichtgedrängten Plenarsaal, in dem Frauen die Mehrheit bildeten, schon mal unterstützenden Gesinnungsapplaus. Aber im großen und ganzen konnte die Sache unter der besonnenen Leitung des sich angenehm unbeteiligt gebenden Richters Engelschall als die Sache behandelt werden, um die es ging.

Das Gelächter jedenfalls, das viele erste Schritte der sogenannten Frauenbewegung begleitet hatte, blieb den Zuhörern wie den Beteiligten schnell im Halse stecken, weil die Rechtsanwältin Wild dem Gericht und dem Saal in einem unbeirrten Plädoyer klarmachte, worum es wirklich geht:

Die Debatte, ob der „Stern“ (oder der SPIEGEL, oder, oder) bei Männern als erogen geltende weibliche Körperzonen und mit Vorliebe das zum männlichen Wunschobjekt schlechthin avancierte Gesäß ohne Sinnzusammenhang mit Themen, die sich natürlich auch mit dem weiblichen Körper wie mit allem „belegen“ lassen, abbilden solle oder nicht, wurde von der Anwältin strikt aus dem Zusammenhang gelöst, in dem wirJournalisten diese Debatte auch sehen müssen. Nämlich als Frage nach Zensur und Nichtzensur, als Frage nach humaner Selbstbefreiung und neuer muckerhafter Knebelung.

In dem Plädoyer der Klägerseite wurde ein Dilemma aufs schönste deutlich: daß der als kontinuierlich gedachte Befreiungsprozeß von spießiger Einengung für Frauen und im Bewußtsein von Frauen nur neue Fesseln gebracht habe.

Es war, als sollte der Prozeß aufzeigen, daß der Fortschritt viele Schnittlinien mit dem Rückschritt hat – im Sexismus, der aus Liberalität nur einen neuen Knebel für Frauen macht (das Diktat ewiger Jugend wie das Diktat der Verfügbarkeit durch die Pille) genauso wie etwa im ökonomischen Fortschritt, der irgendwann zum ökologischen Nachtgespenst ausartet.

Klar wurde, daß Frauen hier ein Signal setzen wollten, welches uns aus längst selbstverständlich gewordenen Geschmacklosigkeiten in der Werbung („Dieser Taperecorder ist wie eine Frau“) wie in der Titelgebung aufschrecken sollte.

Von Henri Nannens hochfahrendem Vorwurf von den „freudlosen Grauröcken“, die da anderen die Trauben versauern wollten, blieb jedenfalls in der bestimmten Verve, mit der Gisela Wild und Alice Schwarzer ihre Sache vortrugen, kaum noch etwas übrig.

Daß aus dem Recht auf einen nackten Körper längst auch der gelinde Terror der unerbittlich wohlgestalteten Frau in Beruf, Werbung und Familie geworden ist, damit mochte auch der Anwalt des „Stern“, XY Senfft, nicht rechten. Immer wieder bescheinigte er der Gegenpartei, daß sie mit ihren Themen und Thesen (zumindest bei ihm) „offene Türen“ einrenne.

Wozu dann aber der ganze Lärm, wenn im Prozeß selbst bei Henri Nannen von der von uns so gern geübten nachsichtigen Männersüffisanz kaum etwas übrigblieb?

Die Crux scheint mir eine „rein juristische“ zu sein, die sich auf zwei Punkte verknappen läßt: Einmal: können viele Frauen für alle Frauen Anstoß nehmen? Wird das Gericht ernst nehmen können und wollen, daß Frauen, obwohl auch bei uns die Mehrheit, in vielen öffentlichen Belangen in der Tat so etwas wie eine unterdrückte Minderheit bilden?

Und zum ändern: Wird das Gericht den bei beiden Prozeßparteien verschwommenen Begriff von dem männlicher Okkupation reservierten weiblichen Körper irgendwie justitiabel machen können – so wie ihn Rechtsanwältin Wild klimatisch und als gelebte Wirklichkeit durchaus verständlich, logisch und akzeptabel machte?

Das Urteil wird am 26. Juli gesprochen. Wie auch immer es ausfällt – der Jux von der Geschichte ist dahin. Auch Männer, auch Illustrierten- und Zeitungsmacher, werden an den Argumenten, wie sie im Prozeß laut wurden, nicht mehr mit einem nachsichtigen Lächeln zur Tagesordnung übergehen können.

(Quelle: EMMA 09/1978)

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