Peter Brügge: Die Rosa Zeiten sind vorbei

Peter Brügge über die Frauen im SDS, 1968

Es war schon der Gipfel weiblicher Mitwirkung, wenn mal ein Mädchen in das brausende Politgeschwätz des SDS-Kongresses hineinschrie: „Haltet endlich die Schnauze!“ Die übernächtigten Bräute der Revolution halten zwar tapfer ihre Frisuren vor die Wasserwerfer der Exekutive, gehen den Genossen zu Teach-in, Sit-in, Demonstration und Liebe an die Hand, aber im intellektuellen Hochfrequenzbereich männlich deutschen Organisationswahnes bleiben sie sprachlos und fühlen sich frustriert.

Den Tomaten, die eine unlustvolle Genossin schon beim letzten SDS-Kongreß in Frankfurt den gelehrtesten Genossen an den Kopf warf, hätte bei diesem Kongreß in Hannover die politische Füllung wohl folgen müssen. Doch im endlosen Hick-Hack revolutionärer Selbstbespiegelung fanden die Aufgewachten aus Frankfurt und anderswo nicht Gelegenheit noch Mut, des feminine Mißbehagen an den verflucht maskulinen Zuständen dieses Vereins mit den Männern einmal ruhig zu besprechen. Einige von denen hatten den Weiber-Unmut sogar als „Penisneid“ zu definieren gewagt und einige der Weiber so tief getroffen, daß diese insgeheim ein Flugblatt über das bittere Los der Penislosen auflegten.

Dringlicher als der äußere Kampf um eine andere Gesellschaft schien mit einem Mal der innere Kampf mit dem anderen Geschlecht. Was sich in linken Ehen und Kommunen privatim angesäuert hat, drängte nun zum kollektiven Protest, in dem die Verweigerung des allseits liebgewonnenen Beischlafs — vom SDS-Sexualtheoretiker Relmut Reiche selbstlos empfohlen — freilich nicht zur Erwägung stand.

Nicht intim wollen diese Gefährtinnen protestieren, sondern frontal und im Kollektiv: gegen die ebenso hochmögenden wie zersplissenen Revolutionäre, die nach jedem rhetorischen Radschlagen ihren Freundinnen so nett um die Taille fassen; gegen die stoppeligen Oberpaviane der Sexual-und Kochgemeinschaften, mit denen man eben noch zwischen zwei Zigarettenzügen Küsse getauscht hat; gegen die Väter der Tag und Nacht im Saale quäkenden sozialistischen Säuglinge.

Den SDS, der auf Emanzipation entschiedener hinauswill als jede andere politische Organisation, ereilen nun, in seinem politischen Erschöpfungszustand, auch noch die irrationalen Folgen dieses mehr privaten Strebens. Wie eine Voranmeldung verbandsinternen Geschlechterringens hing an der hannoverschen Mensapforte, hinter der die Delegierten eher nächtigten als tagten, das neueste SDS-Plakat, das eigentlich für die braven Leute draußen gemacht ist: nackte Frau reitet auf angezogenem Untermann — gemäß dem Motto: „X000 Jahre Patriarchat sind genug“.

Wie genug — das bekundeten in Ton und Haltung aber bald sogar jene unschuldigen linken Pillenträgerinnen, die anfangs noch gegen die antimännliche Agitation ihrer fortgeschrittenen Genossinnen geschmollt hatten: „Wie ihr über Männer redet — so autoritär! Wie Suffragetten!“

Wie genug — das zeigen plötzlich auch solche, die gerade noch die männliche Vormacht ahnungslos mit eigener Schwäche zu erklären bereit waren („Wer von uns arbeitet denn wirklich so hart politisch?“)

Eine Stunde scharfer Aufklärung, von Hausfrau zu Jungfrau etwa, genügt zur kollektiven Mobilmachung: Wer einmal vom Baume so linker Erkenntnis gegessen, dem stehen x000 Jahre hinabgedrängten Grolles zur Disposition.

Ein einiger, entschlossener Haufen drängte also am zweiten qualvollen Kongreßabend in einen Saal voll matter, mit dem Falten von Papierflugzeugen befaßter Revolutionäre, hin zum Podium der verdutzten Eilte. Zwei Dutzend Schicksalsgenossinnen meldeten geschlossen, bei ihnen seien die Rosa Zeiten vorbei: hold bedrohliche Lidschatten-Gewächse in Langschäftern und schlumpichten Jeane, höhere Töchter mit Schlapphüten und Pferdeschwänzen, windelmüde Jungmütter. Hastig verteilten sie die heimlich gebrüteten Flugblätter, und eine verlas, was davon verlesbar schien.

Von ihren Genossinnen wurden die Genossen in ihrem geliebten Soziologen-Kauderwelsch theoretisch angegiftet: als „Unterdrücker“. Als unfähige Zyniker, die nicht hören wollen ,was wir an phänomenologischer Kritik an Eurem Geschlecht und den von Euch produzierten repressiven Kommunikationsstrukturen vorzubringen hatten“.

Als kleine „sensationsgeile“ Machthaber, deren Techniken es den ach doch Gleichberechtigten nicht gestatten, sich „kollektiv an politischen Entscheidungen diskutierend zu beteiligen“. Als sozialistische Papis, die „uns und unsere Produkte nur … konsumieren“- und die aufgeweckten Objekte ihrer Lust ins „bloße Privatleben … zurückverweisen“ (statt, wie es richtig sozialistisch wäre, dieses Privatleben zu politisieren).

Während ihnen das aus den Lautsprechern um die Ohren schlug, starrten die Genossen auf ein zweites Blatt, dessen Inhalt derart war, daß er auch beim SDS heute lieber still gelesen wird:

„wir machen das maul nicht auf!“ höhnte darauf im Namen aller der Frankfurter „Weiberrat“, wenn wir es doch aufmachen, kommt nichts raus! wenn wir es auflassen, wird es uns gestopft: mit kleinbürgerlichen schwänzen, sozialistischem bumszwang, sozialistischen kindern, liebe, sozialistischer geworfenheit, schwulst, sozialistischer potenter geilheit, sozialistischem intellektuellen pathos, sozialistischen lebenshilfen, revolutionärem gefummel, sexualrationellen argumenten, gesamt-gesellschaftlichem Orgasmus, sozialistischem emanzipationsgeseich — GELABER! wenn’s uns mal hochkommt, folgt: sozialistisches schulterklopfen, väterliche betulichkeit… dann tippen wir, verteilen flugblätter, malen Wandzeitungen, lecken briefmarken…“

Und am Ende von all dem das hausfraulich abgewandelte Postulat der weiland Hochschul-Kampagne: „Befreit die sozialistischen Eminenzen von Ihren bürgerlichen Schwänzen!“ Die Genossen konnten nicht umhin, das Blatt zu wenden und schmunzelten gequält: Skizze einer Dame mit Beil, dazu, bereits in Form von Trophäen gezeigt, jene maßgeblich maskulinen Teile, um die maßgebliche SDS-Mitglieder sich von ihren Genossinnen beneidet fühlen.

Die Herren des Kongresses, selbst zu Entschlüssen kaum noch fähig, fanden den Ausbruch berechtigt, aber mißglückt. Einige fühlten Kastrationsängste in sich aufsteigen. Und als später die zarte, zähe Frankfurterin Antonia Grunenberg als einziges Mädchen um einen der fünf Sitze im SDS-Bundesvorstand kandidieren wollte, setzten ihre Frankfurter Genossen ihr hinter den Kulissen so böse zu, daß sie, dem Zusammenbruch nahe, ihren emanzipierten Anspruch aufgab.

Nicht etwa, daß die Frauen da für ihre Antonia auf den Plan getreten wären: Sie, die arbeitet wie ein Mann, die „Emma Peel des SDS“, wird von nicht wenigen Genossinnen schief eingeschätzt wie ein Mann, während die Genossen auf eine ihr insgeheim schon wieder befremdliche Weise aufhören, sie noch als Frau zu behandeln.

Die alten Konflikte der bürgerlichen Gesellschaft erneuern sich explosiv bei denen, die sich vorgenommen haben, sich von dieser Gesellschaft und ihren Konflikten freizustrampeln. „Um aktiv werden zu können, muß man sich in der Hierarchie der Männer hochschlafen“, so schimpft nicht ein Starlet, sondern eine reizvolle Klassenkämpferin aus Frankfurt. Weniger Ehrgeizige aus kleinen Städten widersprechen ihr: Sicher habe sie sich damit im Bett nur unnötig belastet. Eine Undine aus Münster empfiehlt daraufhin, „diejenigen, die noch nicht soweit sind in ihrer Frontstellung gegen die Männer“, erst noch gesondert aufzuklären.

Schnell ist das getan. Schnell sind sie soweit, den Männern aggressive Worte zuzurufen, wenn sie am Musikzimmer vorbeistreichen, in dem der Weiberrat qualmend auf dem Pianoforte thront. „Haut ab hier“, sagen die Damen verächtlich, „macht bei euch Männern Rabatz.“ Dies ist nicht mehr die schwesterliche Sprache der Internationale, eher schon die Tonart kleinbürgerlichen Ehekrieges.

Geht es um Hausarbeiten, die Ihnen zum Halse heraushängen? Um Mutterplagen, die ihnen über die Kopfe wachsen? Um Rechte und Hilfen, die man ihnen verwehrt? Davon ist hier schon nicht mehr die Rede. Das weibliche Mitglied einer dreiköpfigen Arbeitsgruppe beklagt sich vielmehr öffentlich, die Genossen hätten sie auf jede dumme Bemerkung hin freundschaftlich umarmt. Also: „Vorsicht vor unterdrückender ‚Liebe‘.“

Stimmungen stehen zur Diskussion, Tonarten, Haltungen, die verhaßten eigenen Schwächen und die Blindheit auch dieser Männer dafür — Unerforschtes, Unvergessenes aus xOOO Jahren.

Selten regt sich Mitleid mit den immer noch selbstgefälligen männlichen Opfern. „Wir müssen ihnen helfen“, sagt eine und senkt den rebellischen Pagenkopf, „sich von ihrer Rolle als Mann zu emanzipieren.“

Vor männlicher Neugier retiriert die mannlose Versammlung in den Keller. Männer, selbst die eigenen, dürfen nicht folgen, nicht einmal den Kopf hineinstecken. „Wenn Männer da sind… richten wir uns schon wieder nach ihnen.“ Einer, der dort unten mütterliche Hilfe für ein oben schreiendes Kind erbitten will, wird weggezischt wie aus der Schlangengrube. Do it yourself, heißt das Gebot aus dem Keller.

Selbst ein Mädchen, das mit intimem Anliegen von außen kommt und den nächststehenden Artgenossinnen etwas zuflüstern will, findet nur mühsam Gehör. Was will sie? „Tampons! Hat eine vielleicht Tampons?“ Die roten Schwestern blicken verdrießlich über die Schulter und brauchen eine Welle, sich den da angezeigten Einbruch eines ebenfalls ungerechten Naturereignisses bewußt zu machen. Schweigend kramen sie dann im Täschchen.

(SPIEGEL 1968/48)

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