Aktionsrat für die Befreiung der Frau – Flugblatt

Aktionsrat für die Befreiung der Frau, 1967/68
Wir sind neidisch und wir sind traurig gewesen.
Wir sind neidisch gewesen, weil uns die Gleichberechtigung immer etwas schwerer fiel als unseren männlichen Kommilitonen, weil uns die ersehnten genialen „Höhenflüge“ nicht so recht gelingen wollten, und wir sind traurig gewesen, weil wir bei unseren individuellen Versuchen, Studium, Liebe, Kinder zusammenzubringen, uns verzettelten oder einfach verkrusteten.

Der von der bürgerlichen Gesellschaft vorgeschlagene Weg zur Emanzipation ist uns nicht ganz gelungen. Die paar Frauen, die es mit eiserner Energie geschafft haben, doch irgendwie Karriere zu machen, kamen uns wie Verräter vor, wie Mittelstandsneger, die als Beweis gelten, daß man in einer repressiven Gesellschaft auch als Neger etwas werden kann. In dem Angriff auf die bürgerliche Ideologie, die den Menschen ganz in den Dienst der Kapitalvermehrung stellt, erkannten wir unsere Wut gegen das bestehende Leistungsprinzip.

Die, die Kinder hatten, begriffen schneller, daß die bestehenden Arbeitsverhältnisse die kommende Generation einfach abmurksen – durch autoritäre Staatskindergärten, die muffige Atmosphäre enger Familienverhältnisse oder die nervöse Hast alleinstehender Frauen. Uns brauchte keine wissenschaftliche Analyse erst klar zu machen, daß sich diese Gesellschaft grundlegend ändern muß.

Wir wurden „links“ und stimmten in den Chor unserer männlichen Genossen ein, daß die Emanzipation der Frau nur in einer Gesellschaft verwirklicht werden kann, die frei von Unterdrückung ist. Doch dieser allgemeine Singsang nutzte uns wenig, wenn es an die konkrete Arbeit ging. Wir hinkten ständig hinterher in diesem autoritären antiautoritären Kampf. Und die, die Kinder hatten, konnten nichts weiter tun als mal zu demonstrieren.

Wir bekamen Angst und wurden immer lahmer. Wir begannen, politische Veranstaltungen zu hassen, da sie nichts daran änderten, daß uns die alltäglichen Probleme zu einem reaktionären Verhalten zwangen. Da wir nicht länger passiv, verkrampft, wehleidig, einsam bleiben wollen, nicht mehr auf den unverbindlichen Zufall eines verständnisvollen Verhältnisses angewiesen sein wollen, müssen wir trotz aller Interessengleichheit unsere ungleiche Situation aufnehmen, artikulieren und organisieren. Diese ungleiche Situation ist äußerlich dadurch gekennzeichnet, daß uns die kommende Generation „am Halse hängt“. Hier müssen wir aufhören, die Misere individuell lösen zu wollen, oder damit auf Zeiten nach der Revolution zu warten.

Soll die ganze Sache nicht in kläglichen Ansätzen steckenbleiben, die Abschaffung der Misere – und nicht nur ihre Linderung – weiterhin hilflose Illusion bleiben, müssen wir das Bewußtsein um die politische Bedeutung der ganzen Angelegenheit vertiefen.

Das Mißverständnis, daß ja alles schon mal dagewesen sei, mag ein Grund dafür sein, daß wir nicht schon längst versucht haben, uns zu organisieren, um Möglichkeiten einer echten Alternative zu finden, richtig zu arbeiten, d. h. richtig zu kämpfen.

Die bisherigen Frauenorganisationen sind dadurch gekennzeichnet, daß sie mehr oder weniger in Müttervereine und in Gleichberechtigungsvereine geteilt waren. Mütter forderten staatliche Schutzmaßnahmen im Beruf, Berufstätige forderten staatliche Stützmaßnahmen im Privatleben. Beide verharrten im autoritären Ruf nach dem Gesetzgeber, blieben auf staatliche Eingriffe angewiesen, blieben unpolitisch, da sie den systemsprengenden Widerspruch ihrer Forderungen nicht erkannten.

Mütter nahmen den Anspruch auf Gleichberechtigung nicht zu ernst und die damit verbundenen üblen ökonomischen Nachteile in Kauf, Berufstätige kümmerten sich nebenbei um ihr sogenanntes Privatleben. Der Konflikt ist im bestehenden System nicht zu lösen. Das System hält den Anspruch nach Gleichberechtigung aufrecht mit dem Vorbehalt, ihn nicht so ganz ernst zu nehmen. Gleichberechtigung heißt vor allen Dingen erst einmal ökonomische Gleichberechtigung. Ökonomische Gleichberechtigung heißt in unserer Konkurrenzgesellschaft gleiche Chance, Karriere zu machen. Die existiert nicht, die kann einfach nicht existieren.

Es liegt deshalb nahe, unser Karrierehindernis aufzugreifen, unser Recht und unsere Pflicht, Kinder zu erziehen, ernst zu nehmen, so ernst, daß wir uns weigern, sie zu disziplinieren, daß wir sie nicht autoritär erziehen. Das kann von keinem noch so fortschrittlichen Kindergarten in unserer Gesellschaft erreicht werden, schon deshalb nicht, da die Erziehung dort den Konflikt des Kindes mit seinem autoritären Elternhaus vermeiden muß. Das kann nur durch die Selbstorganisation der Erzieher, d. h. in unserer Gesellschaft erst einmal durch die Selbstorganisation der Frauen geschehen.

Das es sich hierbei keineswegs nur um eine soziale Selbsthilfeaktion handelt, mit der Feststellung des Psychoanalytikers Wilhelm Reich angedeutet, der sagte, daß 1000 politische Veranstaltungen nichts gegen den reaktionären Einfluß kleinbürgerlicher Lebensweise ausrichten können.

Wir werden der Gesellschaft diesen Dienst verweigern.

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