Chantal Louis, 1997
Für dieses Studium braucht frau kein Abitur, sondern Erfahrung als Familienmanagerin: In acht Städten können Frauen einen Abschluß in ‚Frauenstudien‘ machen (links Dozentin Bruchhagen). Die Studentinnen zwischen 35 und 55 diskutieren im Seminar theoretisch über Geschlechterfragen – und lassen sich zuhause praktisch auch schon mal scheiden.
In der hinteren Reihe heben sich zaghaft zwei Finger. „Ja, bitte!“ ermuntert die Dozentin. „Ich sehe das ja an meinen beiden Töchtern, daß sich was verändert“, sagt die gestandene Frau Anfang Fünfzig. „Die sind über 30 und immer noch nicht verheiratet. Die waren nicht dazu bereit, mit 20 Kinder zu kriegen, so wie ich damals!“ Vorne rechts ist frau ganz anderer Meinung. „Mütter, die berufstätig sein wollen, haben es immer noch sehr schwer. Von den Kindereinrichtungen ist ja keine Hilfe zu erwarten, und von den Männern auch nicht!“ Immer mehr Finger schnellen hoch. „Also, unsere Söhne, die wir jetzt großziehen, die helfen doch später ihren Frauen!“ Allgemeines Gelächter. An helfende Söhne scheint in diesem Seminar niemand so recht zu glauben, an helfende Ehemänner schon gar nicht.
„Kommunikation, Konflikt und Geschlecht in der emanzipatorischen Frauenarbeit“ – so lautet akademisch-schwerfällig der Titel des Seminars. Die Diskussion in dem ödgrauen neonbeleuchteten Raum ist alles andere als das. ‚Familengründung im Wandel‘ heißt der Text, in den die 20 Teilnehmerinnen heute nachmittag ihre Köpfe stecken und an dem sie sich dieselben heißreden. Aufgabenstellung: „Was haben die Modelle des Autors mit den tatsächlichen Frauenleben zu tun?“ Ergebnis: So gut wie gar nichts. Für diese Frage sind die Studentinnen im Raum Expertinnen – obwohl sie allesamt Erstsemester sind. Denn das Durchschnittsalter im Raum liegt um rund 20 Jahre über den „normalen“ Seminaren: Die Teilnehmerinnen der ‚Frauenstudien‘ sind zwischen 35 und 55. Und sie haben über mangelnde Kenntnisse über klassische Frauenleben nicht zu klagen.
143 weibliche Wissensdurstige zählt der Studiengang insgesamt, rund 30 Frauen haben sich im letzten Herbst zum Wintersemester neu eingeschrieben. Sie sind Hausfrauen, Amtsleiterinnen oder Stenotypistinnen, Betriebsrätinnen, Buchhalterinnen oder Kranführerinnen. „Bei uns studieren Frauen, denen man früher gesagt hat: ‚Mach mal irgendeine Lehre – ist ja egal, du heiratest ja sowieso.‘ Und die dann später gemerkt haben, daß es noch was anderes im Leben gibt“, erklärt Verena Bruchhagen, Frauenstudien-Dozentin der ersten Stunde. „Aber auch Frauen, die mit beiden Beinen im Beruf stehen. Zum Beispiel die Betriebsrätin, die jetzt als Gleichstellungsbeauftragte arbeitet.
Die meisten der ‚Frauen-Studentinnen‘ haben bei der Einschreibung zum ersten Mal in ihrem Leben einen Fuß in eine Universität gesetzt. Abitur braucht frau nicht, wenn sie sich für den Studiengang ‚Frauenstudien‘ an der Uni Dortmund einschreiben will, dafür aber eine abgeschlossene Berufsausbildung plus drei Jahre Praxis. Statt der Arbeit im Beruf wird aber auch „das selbständige Führen eines Mehrpersonenhaushalts“ anerkannt. Viele Frauenstudentinnen haben nie in ihrem gelernten Beruf gearbeitet, weil Kinder unterwegs waren und sie als „gute Mutter“ zu Hause blieben.
So sitzen im Seminarraum fast ausschließlich Mütter erwachsener Kinder, die seit neuestem feministische Wissenschaft betreiben. Fünf oder sechs Semester lang besuchen sie für 196 Mark im Halbjahr einschlägige Seminare wie Beruf und Familie im Lebenszusammenhang von Männern und Frauen‘ oder ‚Zur Lebens- und Bildungssituation von Mädchen und Jungen‘ oder ‚Frauen in der Geschichte‘. Und sie schreiben Abschlußarbeiten über den ‚Sexismus in den Kinderbüchern von Janosch‘ oder den ‚Westfälisch-Lippischen Landfrauenverband als eine Interessenvertretung für Bäuerinnen und Frauen auf dem Lande‘. Wenn das geschafft ist, sind sie ‚Referentinnen für Frauenfragen in Bildung, Kultur und Politik‘.
Maria Meyer ist 51, Mutter von vier Kindern und hat ihr erstes Semester fast hinter sich. Die Ausbildung bei der Stadtverwaltung in Wanne-Eickel hat sie zu Ende gemacht, aber als sie mit 20 „heiraten mußte“, blieb sie zuerst zu Hause und arbeitete dann „auf Teilzeit“. „Jetzt, wo die Kinder aus dem Haus sind und ich arbeiten könnte“, bedauert die Frau mit den kurzen grauen Locken und der Reibeisen-Stimme, „krieg‘ ich nix Gescheites mehr.“ Mit dem Frauenstudium will Maria, die schon damals „durch die Frauenbewegung ein bißchen aufsässig geworden“ ist, ihre beruflichen Perspektiven verbessern und auf eigenen Füßen stehen. Verschlechtert hat sich seitdem das häusliche Versorgungssystem ihres Mannes. Während seine Frau in der Uni sitzt und „ganz viel Spaß am eigenen Denken“ hat, muß sich der Elektromeister sein Essen jetzt öfter selbst – nein, nicht kochen (sie hat vorgekocht), aber doch warmmachen. „Das will der nicht, da muß ich boxen an allen Ecken und Enden“, schimpft Maria Meyer. „Ich hab dem schon so oft gesagt: Du wirst doch dat Ding alleine angestellt kriegen!“
Maria ist nicht die einzige, bei der seit Aufnahme des Frauenstudiums der Haussegen schiefhängt. Und das ist durchaus kein Zufall. „Persönlichkeitserweiterung“ nennt Diplom-Pädagogin Bruchhagen das, und die ist neben der beruflichen Verbesserung das zweite erklärte Ziel der Frauenstudien. „Viele unserer Studentinnen stellen sich zu Hause in den Ring und kämpfen um Veränderung“, erzählt die Dozentin. Wenn sich die Erstsemester im Seminarraum theoretisch mit der Analyse des Geschlechterverhältnisses befassen, haben die Gatten zu Hause praktisch nichts zu lachen. „Die Frauen haben in den Seminaren sehr oft diese Aha-Erlebnisse und sagen: ‚Ach, deshalb ist mir das so passiert!'“
Manchmal wird das Frauenstudium sogar Auslöser für die Scheidung. „Wenn die Männer wüßten, was hier passiert“, orakelt Frauenstudien-Dozentin Ulrike Braun und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, „würden die sich noch viel stärker dagegen wehren, daß ihre Frauen hier studieren.“ Entsprechend gibt es auch Studentinnen, die die neuen Erkenntnisse nicht aushalten und das Studium abbrechen.
„Na ja, dümmer wird man davon ja nicht.“ So kommentierte Edeltraud Paetschs Mann auf einer Familienfeier die Tatsache, daß seine Frau jetzt studiert. Jedenfalls hört er ihr jetzt zu, wenn die resolute Mittfünfzigerin „hellauf begeistert“ aus dem Soziologie-Seminar erzählt. Was früher nicht unbedingt der Fall war. „Da ging das bei dem immer: Hier rein, da raus.“ Edeltraud Paetsch hatte sich nach der Mittleren Reife trotz ihrer drei Kinder in der Stadtverwaltung einer mittelgroßen Ruhrgebiets-Stadt hochgearbeitet. Erst zur Abteilungsleiterin, dann zur Leiterin des Standesamtes. Der Posten war nicht sehr beliebt. „Da hab‘ ich gedacht: Da hast du als Frau eine Chance, weil die Männer nicht neidisch drauf sind.“ Als sie dann aber noch Schulamtsleiterin wurde, kam doch männliche Mißgunst auf. „Die haben mir so viel Balken zwischen die Beine geschmissen, daß ich überhaupt kein Selbstbewußtsein mehr hatte“, erzählt Edeltraud. Schließlich räumte sie das Feld und ließ sich beurlauben. Aber die Frauenstudien zeigen Wirkung in Sachen Selbstvertrauen: „Jetzt habe ich mich entschlossen: Ich gehe da wieder hin!“
„Ganz gestandene Frauen“, erzählt Veteranin Bruchhagen, kamen auch schon am Anfang vor knapp 20 Jahren zu den ‚Frauenforen im Revier‘ – den Vorläuferinnen der Frauenstudien. Die Idee einer Frauenbildungs-Veranstaltung an der Uni brachten Wissenschaftlerinnen aus Berlin mit, wo 1976 zum ersten Mal die legendäre Sommeruniversität für Frauen stattgefunden hatte. Doch auch im Ruhrgebiet gab es zahlreiche Frauengruppen, die in ihren Stadtteilen feministische Weiterbildung für Frauen anboten. Gemeinsam organisierte man 1979 das erste ‚Frauenforum im Revier‘. Dem Motto ‚Frauen begreifen ihren Alltag‘ folgten hunderte Frauen – von der Akademikerin bis zur Arbeiterin – für drei Tage an die Dortmunder Universität.
Das ‚Frauenforum im Revier‘ stieß auf so große Resonanz, daß eine Stelle eingerichtet wurde, die ein Konzept für einen Studiengang ‚Frauenstudien‘ entwickeln sollte. 1981 schrieben sich dann die ersten Teilnehmerinnen ein. Bis sich die Frauenstudien als fester Bestandteil des Uniangebots mit drei gesicherten Stellen etabliert hatten, sollte es allerdings noch weitere zehn Jahre dauern.
Auch in anderen Städten wurden Frauenstudien gegründet. Heute gibt es das Angebot nach Dortmunder Vorbild an vier weiteren deutschen Universitäten in Bielefeld, Hamburg, Oldenburg und Koblenz. An der Uni Essen ist das Projekt nach 15 Jahren wg. Geldknappheit gestrichen worden. In Ulm, Schwäbisch-Hall und Ludwigsburg übernehmen Frauenakademien die Weiterbildung der ‚Frauen nach der Familienphase‘. Die sind aber nicht an die Universitäten angebunden wie zum Beispiel in Dortmund: Dort werden ein Drittel ihrer Seminare von den drei Dozentinnen der Frauenstudien bestritten, für die anderen zwei Drittel können die Teilnehmerinnen in die andere Fakultäten ausschwärmen, um zum Beispiel ‚Frauengestalten der Bibel‘ oder ‚Malerinnen des Impressionismus‘ kennenzulernen.
„Ich fühl‘ mich hier so wohl, weil ich immer lernen wollte“. Ingrids Schulausbildung ging zu Ende, als sie 13 war – schließlich mußte so schnell wie möglich Geld verdient werden. Sie arbeitete sich von der Bürohilfskraft zur Kontoristin hoch und ging für ein Jahr als Au-pair-Mädchen nach England. Mit 16 lernte sie ihren Mann kennen, den sie mit 23 wg. Schwangerschaft heiratete. Er startete seine Karriere bei der Polizei, sie wurde Hausfrau. „Er wurde immer größer, und ich wurde immer kleiner“, erzählt die 55jährige Mutter von drei Kindern. „Bis ich mich nicht mehr getraut habe zu sprechen.“ Um vier Uhr mußte das Essen auf dem Tisch stehen, sonst gab es Prügel. Ingrid trennte sich vor vier Jahren, als er ihr die Scheckkarte wegnahm.
Als sie ihren Kindern erzählte, daß sie jetzt studieren will, unkte ihr ältester Sohn: „Mutti, du wirst schon sehen wie schwer das ist, wenn du deinen ersten Schein machen mußt.“ Als Muttern den dann hatte, griff sie sofort zum Telefon und triumphierte: „So, Gerd. Hier isser!“
„Für mich ist bei den Frauenstudien rausgekommen: Ich kann reden, ich kann ein Referat halten.“ Ingrids Referats-Thema: ‚Mutige und beherzte Frauen der deutschen Geschichte.‘
In den Vorlesungen der Frauenstudien prallt reichlich verschiedene Lebenserfahrung aufeinander. „Es kommt natürlich vor“, erklärt Ulrike Braun, „daß zum Beispiel eine Teilnehmerin im Seminar sagt: ‚Es ist aber auch wirklich schlecht für Kinder, wenn die Mutter berufstätig ist.‘ Und bei ihrer Banknachbarin kocht dann alles hoch.“ Zoff in den Vorlesungen ist dementsprechend vorprogrammiert, aber in der Regel durchaus bereichernd. Die Kritikerin der mütterlichen Berufstätigkeit zum Beispiel hat diese Frage zum Thema ihrer Abschlußarbeit gemacht. „Jetzt hat sie noch ein Sozialpädagogik-Studium angehängt, und da erzählt sie den jungen Studentinnen genau das Gegenteil.“
Auch wenn die Frauenstudentinnen mit den sogenannten Regelstudierenden in einem Seminar zusammentreffen, ist das nicht ohne Zündstoff. Die ‚Einführung in die Philosophie‘, die Maria Meyer heute nachmittag besucht, platzt aus allen Nähten, einige Studentinnen haben keinen Sitzplatz. Mindestens die Hälfte der Anwesenden ist über 50, denn in diese Vorlesung drängt sich nicht nur das Frauen-, sondern auch das Seniorenstudium.
„Die jungen Studierenden beschweren sich manchmal, daß sie nicht zu Wort kommen“, erklärt Verena Bruchhagen. Andererseits sind es die gestandenen Frauen, die oft die Fragen stellen, die sich die jungen Studentinnen nicht zu stellen trauen, und die die Diskussion aus höheren Sphären auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Das sehen auch etliche Lehrende so. „Viele Professoren“, erzählt Dozentin Bruchhagen, „die den Frauenstudien früher den Vorwurf gemacht haben, sie würden das Niveau der Seminare verwässern, sagen heute: ‚Ohne diese Studentinnen würden wir gar nicht so anregende Seminare machen.“ Allerdings machen die Frauenstudentinnnen so manchem Professor das Wissenschafts-Leben schwer. „Natürlich ist der eine oder andere verunsichert, wenn gefragt wird: ‚Und was hat das jetzt mit der Praxis zu tun?'“ Und das fragen die Teilnehmerinnen eigentlich immer.
Was nach ihrem Studium wird, fragt sich zur Zeit Ulrike Ziebuhr. Sie steht mit ihren fünf Semestern kurz vor der Abschlußarbeit, und damit ist jetzt die Zeit der Bewerbungen angebrochen. Ergebnis bisher: Fehlanzeige. Die 41jährige hatte damals ihr Lehramtsstudium nach dem ersten Staatsexamen abgebrochen und blieb wegen ihrer zwei Kinder zehn Jahre lang zu Hause. Als sie sich vor kurzem auf die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten in einer Nachbarstadt bewarb, hatte sie gegen die 46 Mit-Kandidatinnen keine Chance. „Es ist schon ein Problem, jetzt beruflich Fuß zu fassen, weil mir ja jede berufliche Praxis fehlt.“
Damit ist die zukünftige ‚Referentin für Frauenfragen‘ aber eher eine Ausnahme unter ihren Kommilitoninnen, deren Chancen auf einen Job teilweise – wenn auch nicht immer – besser stehen oder die ihr Frauenstudium von vornherein berufsbegleitend absolvieren. Oder die sich, wie Schulamtsleiterin Edeltraud Paetsch, beurlauben ließen. Oder die auf den Geschmack gekommen sind und noch ein „richtiges“ Studium anhängen.
Maria weiß nur, daß sie „aus dieser verdammten Abhängigkeit von meinem Mann raus will.“ Heute abend muß sie auf alle Fälle ihr Referat über die ‚Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten‘ vorbereiten. Das muß sie morgen vor 120 Leuten halten und hat deshalb etwas Grummeln im Bauch.
Ingrid weiß schon ziemlich genau, was sie später mit ihrem Frauen-Zertifikat machen will: in einer Beratungsstelle arbeiten und „Frauen bei der Scheidung helfen“. Sie hat es auch eilig, weil sie heute abend noch weiter lernt – in ihrem Selbstverteidigungskurs.
CHANTAL LOUIS
(Quelle: EMMA 05/1997, S. 94-97)