Käthe Schirmacher: Der Sexualismus in der Sprache

Dr. Käthe Schirmacher, 1907

Ich muss stets lächeln, wenn man mir erklärt, die Frau sei im Besitze einer beneidenswerten Stellung und das Verlangen der Frauenrechtlerinnen nach mehr Freiheit und Achtung völlig unberechtigt. Man braucht nur ein so organisch gewachsenes, so historisch gewordenes Gebilde wie die tägliche Umgangsprache der „Kulturländer“ zu studieren, um zu sehen, wie stark der Sexualismus auch auf diesem Gebiet, d. h. im verhältnismässig Unbewussten herrscht. Auch unsere Sprache ist ganz durchtränkt von Geschlechtlichkeit, auch in unserer Sprache spreizt sich das Geschlechtsvorurteil, auch die Sprache ist vorwiegend eine Männerschöpfung, auch sie ist verbildet durch einen „Maskulinismus“, der, wie auf anderen Gebieten so auch hier, dem Manne die herrschende, die edle, schöne, die erste Rolle zuerteilt. Wir sind nur an diese Sprichwörter, Bilder, Urteile derart gewöhnt, dass wir sie kritiklos hinnehmen, ja dass selbst Frauen sich diesem ihr Geschlecht herabsetzenden Sprachgebrauche fügen.

Ich möchte einige Beispiele davon anführen. Mit der dem Menschen eigenen Subjektivität hat der Mann sich, seine Vorzüge, Fehler und Leistungen als die Norm, das Normale, das „Seinsollende“, das Ideal gesetzt: das Männliche ward, in der Sprache wie anderswo, das Massgebende. Daher in allen Sprachen der Welt der Kult des Mannes. Der geht so weit — ich erwähne das nur nebenbei — dass bei gewissen primitiven Völkern die Frauen eine ganz andere Sprache sprechen als die Männer, dass die Sprichwörter aller Völker in ihrer überwiegenden Mehrzahl frauenfeindlich oder frauenbeleidigend sind, dass die Literaturen aller orientalischen Kulturvölker sich gegen die Frau kehren und eine Änderung hier erst bei den abendländischen Nationen eintritt, als sie, unter dem Einfluss von Minnesang und Renaissance der Frau einen gewissen gesellschaftlich – literarischen Einfluss verstatten.

Der gänzliche Ausschluss der Frauen vom öffentlich-geselligen Leben der Morgenlandskulturen erklärt es zur Genüge, dass alle Sprachen in erster Linie „Männersprachen“ waren. Die Mutter- und Ammensprache schüttelte der Jüngling ab, sobald er in Männerhände gelangte und in die Männerkultur eintrat. An dem Leben, das die Sprache formte, hatte die Frau damals keinen Anteil, und der schärfste Frauenhass konnte sich die Zügel schiessen lassen, „Mit Ausnahme von Homer und Sophokles haben der Orient und Griechenland nur Bitterkeit, Spott und Beschimpfung für die Frauen“, sagt E. Deschanel in „Le Mal et le Bien qu’on a dit des femmes“. Wir können uns heute von dieser ausschliesslichen Männerherrschaft und ihrer bösartigen, unkontrollierten Geschwätzigkeit den Frauen gegenüber nur noch einen schwachen Begriff machen, weil seit 300 Jahren die Frau durch Teilnahme am öffentlichen Leben und als ausübende Künstlerin — Schauspiel, Literatur — doch auch ihrerseits die Sprache modelt. Die Zahl der ausschliesslichen Männerversammlungen und Männerkonklave nimmt ja täglich ab, die Zahl der Männer-und Frauenversammlungen täglich zu, selbst das „Segment“, ein Überrest des orientalischen Harems, wird bald auch in Preussen der Vergangenheit angehören, und einstweilen hindert selbst das Segment uns Frauen nicht, wenigstens unsere Stimme zu erheben und mit den Männern zu reden, wenn wir auch nicht mit ihnen sitzen können. Das Gegenteil wäre viel bedauerlicher.

Immerhin, den Sexualismus, das Geschlechtsvorurteil bekommen wir so bald nicht aus der Sprache heraus, nur eine bewusste Gegenwirkung kann da helfen, und eine solche Gegenwirkung möchte ich hier anbahnen.

In allen Kultursprachen ist. das Wort „Mann“ an und für sich ein Lob, ja das höchste Lob, das non plus ultra aller edlen Qualitäten. „Er war ein Mann!“ ein höheres Lob gibt es heute in der Sprache nicht. „Seid Männer“, d. h. zeigt Mut und Festigkeit, seid fest und stark. Die Sprache billigt ein für allemal dem Mann das Vorrecht und sozusagen die Erbpacht der Kraft zu. Der Mann, nur weil er Mann, ist als solcher stark und unerschrocken, ehrlich und offen, ein Muster aller Tugenden.

„Männlich“ und „mannhaft“ sind in der gleichen Weise Lobewörter. Das Männliche ist das Überlegene. Im Roman erschauert die Jungfrau beim Klang der männlichen Stimme des Geliebten, ein „mannhafter“ Händedruck flösst Vertrauen ein. Man „schlägt sich mannhaft“, spricht „wie ein Mann“, „steht seinen Mann“ und gibt dadurch kund, dass die Frau von solchen Vorzügen ausgeschlossen ist.

Denn das Wort „Weib“ ist weit davon entfernt, das glänzende Geschick des Wortes „Mann“ zu teilen. — Von einem Femininum ist es zu einem Neutrum geworden und von einem Edelnamen zu einem Schimpfwort. Soll es lobenden Sinn enthalten, so muss ein Beiwort hinzugesetzt werden, edles Weib, schönes Weib etc.

Ohne ein solches epitheton ornans, wird der Ausdruck zum mindesten unfreundlich, wenn nicht beleidigend, wie aus folgenden Beispielen hervorgeht: Weib (nicht Frau) was habe ich mit dir zu schaffen! Weib! als Schluss einer erregten Debatte. (Auf der anderen Seite entspricht diesem Schimpfwort nicht etwa „Mann“, sondern höchstens „Kerl“.) Der physiologische Schwachsinn des Weibes. Da werden Weiber zu Hyänen. Die Mobilmachung der Weiber. Ein Verehrer der Weiber. Diese Weiber! Die politischen Weiber etc.

Und der zugrundeliegende Sinn bedeutet einerseits: untergeordnetes Wesen, Mensch zweiter Ordnung, Geschöpf, das auf Geschlechtsfunktionen beschränkt ist, schwache unselbstständige Person, oder aber, im Gegenteil, entspricht doch nur den Tatsachen und hat für den Mann nichts Beleidigendes! Denn in der bisherigen Männersprache, die Kraft und Energie mit Männlichkeit identifiziert, ist das Weib allein der berufene Vertreter der Schwäche, Unselbständigkeit und Unaufrichtigkeit. Man könnte glauben, all diese wahrhaftigen Sprachschöpfer seien ohne den Umweg über die Mutter zur Welt gekommen.

… das schlimmste Schimpfwort, das der Mann für sich gefunden hat, ist: Weib! womöglich: Waschweib! oder noch besser: altes Weib! Darüber gibt es nichts. Ein altes’Weib! das ist doch das Elendeste, was Gottes (des Männergottes) Erdboden trägt. Ein altes Weib!

Die „Schürze“ ist dem Mann das Sinnbild des Verächtlichen, er spricht von „Unterrockspolitik“, „Weiberröcke“ sind das Zeichen der Unselbständigkeit, in Montenegro wird dem Feigling eine „Weiberschürze“ umgebunden und im französischen ist der Ausdruck „C’est une fille“ (in dem Sinne von Dirne) die Bezeichnung für einen absolut charakterlosen Mann. Im Volke und wenn Männer in Frankreich unter sich sind, geht man in der Verwendung von Schimpfwörtern, die der Frau entlehnt sind, noch weiter • und selbst gebildete Männer bedienen sich im Zorne eines der Anatomie entlehnten Ausdruckes, der zur Genüge beweist, wie hoch die Geschlechtlichkeit der Frau von ihnen bewertet wird. Man glaubt, die Wölfe in den Urwäldern heulen zu hören.

Selbst die weiblichen Tiere haben ihren Teil zum männlichen Schimpfwörterschatz beisteuern müssen: „Vaches“ ist eine Beleidigung, die der Pariser Strolch dem Polizeisoldaten zuruft und, obgleich der Eber ihr sicher darin nicht nachsteht, ist die Unreinlichkeit nicht in ihm, sondern in der Sau verkörpert worden.

Wenden wir uns nun zur Lichtseite des Lebens, so strahlt sie wieder in rein männlichem Glanze: Man lebt „fürstlich“, amüsiert sich „königlich „i und wer sich wohl fühlt, erklärt, es sei herrlich.

Dieses Selbstgefühl des Geschlechts hat sich nun stark genug erwiesen, der Männerlogik ein Bein zu stellen. Wie der Mann sich dadurch erniedrigt, dass er sich zum Weibe macht, so erhebt er das Weib, indem er es zum Manne macht ist doch Tatsache, wie soll man das ändern. Dass er hiermit seine Grunddefinitionen preisgibt, dass er in seiner Überschätzung taumelig wird, dass er die geheiligten „Grenzlinien“ der Geschlechter verwischt und sein Evangelium der Weiblichkeit umstösst, ist ihm dabei nicht zu Bewusstsein gekommen.

Konnte er vorher den Mann nicht ärger beschimpfen, als ihn ein Weib zu nennen, so glaubt er nun, das Weib am höchsten zu ehren, indem er es Mann nennt.

Und zwar tun dies dieselben Leute, die sonst die Frau nicht genug ermahnen können, „weiblich“ zu bleiben, die von unverwischbaren, naturgewollten Grenzlinien zwischen den Geschlechtern sprechen und von jedem Fortschritte der Frauenbewegung einen Verlust der „Weiblichkeit“ befürchten. Was kann aber logischerweise eine „Weiblichkeit“ bedeuten, deren Krönung in der „Männlichkeit“ liegt.

Welcher Widerspruch, welche Arroganz.

Ich entnehme einem Konzertberichte folgendes Urteil: „Die Pianistin spielte mit männlicher Kraft.“ — Wenn sie nun nicht zufrieden ist! Ich begreife zwar nicht, wie Frauenarme und -Hände Männerkraft enthalten und entfalten können, denn wenn diese Kraft von einer Frau entwickelt wird, ist es doch eben Frauen- und nicht Männerkraft. Aber, der Mann vermag sich nun einmal zum Eingeständnis seines Irrtums, als habe er allein die Kraft als Apanage, nicht herbeizulassen (trotzdem, wie ich neulich in Jerome K. Jerome las, frank and manly eins ist), und daher begeht er lieber die Absurdität, dem sonst unfähigen Weibe Männerqualitäten beizulegen.

Zu welchen Verrenkungen und Schnörkeln der Sexualismus in der Sprache führt, beweist folgender Satz derselben Schriftstellerin; „La femme peut etre homme par le courage, par l’energie au travail, sans rien perdre de son charme femininin/‘ — Ist das nicht das reine Rebus: eine Frau, die Männereigenschaften hat? Die wäre ja ein Monstrum.

Tiefes Sinnen hat mir der Satz verursacht: „Il supportait sa peine en homme“. Meiner Erfahrung nach werden die schlimmsten Schmerzen von Frauen ertragen, wortlos, klaglos, in der furchtbaren Abhängigkeit und körperlichgeistigen Sklaverei unglücklicher Ehen. Kein Mensch aber denkt daran, zu sagen: elle supportait sa peine en femme, und sagte man’s, es würde wiederum nur einen Tadel bedeuten, etwas Kleinliches und Schwächliches. Geht aber einem Manne etwas schief, und er trägt die Enttäuschung wortlos, klaglos — ah, da ist er sogleich ein Wunder Gottes, ein Held, il supportait sa peine en homme! Und es finden sich Frauen, um das nachzubeten.

Wir werden voraussichtlich noch recht lange aufzuklären und zu erziehen haben, bis dieser grundlegenden Sprachverbildung gesteuert und ein neuer Sprachgebrauch eingebürgert ist.

Nichts aber scheint mir klarer als folgende Sätze: Ein Mann ist ein Mann, eine Frau eine Frau.

Behaupten, dass Männer Frauen- und Frauen Männereigenschaften haben, ist eine Absurdität.

Ist dieses scheinbar der Fall, so liegt der Grund darin, dass die angeblichen G e s c h l e c h t s-eigenschaften allgemeine Menscheneigenschaften sind.

Die ganze Sprachverwirrung ist dadurch entstanden, dass „männlich“ mit kräftig, mutig, aufrichtig identifiziert wurde, weiblich hingegen mit schwächlich, feige, treulos.

Diese Klassifizierung entspricht den Tatsachen nicht, hat ihnen auch nie entsprochen. Sie konnte sich so allgemein nur unter einer ausschliesslichen oder vorwiegenden Männerherrschaft einbürgern.

Sie heute noch aufrecht erhalten, ist stets ein Mangel an Logik und oft eine Roheit.

Die Frau loben, indem man sie zum Manne macht, den Mann tadeln, indem man ihn Frau nennt, bedeutet höchste Arroganz und gröbsten Sexualismus.

Hier müssen wir umdenken und darum: weg aus dem Sprachgebrauch mit Geschlechtsvorurteil und Geschlechtsdünkel.

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