Verena Stefan, 1975
Es erzählte die Ablösung einer jungen Frau von ihren – linken – Männern, ihren Weg über Frauengruppe, Frauenwohngemeinschaft und Frauenbücher zu Frauenbeziehungen – und sprach damit zahlreichen Frauen aus dem Herzen. Verena Stefans Buch „Häutungen“. Neben der allgemeinen Begeisterung wurden aber auch ablehnende Stimmen laut: Gefährliche Spuren der eben aufkommenden „neuen Weiblichung“ entdeckten Kritikerinnen vor allem im zweiten Teil des Buches, in dem Verena Stefan ihre Beziehung zu Frauen schildert.
Den entschluss, mir ein intrauterinpessar einsetzen zu lassen, traf ich nicht allein, er entstand bei der arbeit am ,Frauenhandbuch Nr.1′. bis dahin hatte ich die pille geschluckt, vier jahre lang. der Arzt, der sie mir schliesslich verschrieben hatte, machte mich darauf aufmerksam, dass ich zu krampfadern neigte, ich machte regelmässig eine pillenpause, schluckte sie aber ansonsten unentwegt weiter bis zu dem abend in Berlin, an dem Samuel besuch bekam. „heute kommt eine umheimlich dufte genossin“, sagte er. meine gebärmutter zog sich zusammen, seine ankündigung hiess, dass die genossin übergrosse politische erfahrung verfügte, sonst hätte er sich nicht zu dieser auszeichnung verstiegen, er würde angeregt mit ihr diskutieren, ich würde zuhören, sie wollte mit Samuel über die pille und die politik der pharmazeutischen Industrie sprechen.
Ich war bei dem gespräch nicht abseits, wie es sonst bei seinen bekannten und freunden der fall war. ich staunte über das wissen, das sie als nicht-medizinerin hatte, sie schrieb mit andern frauen an einem buch über abtreibung und Verhütung und erzählte uns von einer frau, deren gebärmutter völlig geschrumpft war, seitdem sie die pille schluckte.
„Eigentlich habe ich gar kein gefühl für meinen Unterleib“, sagte ich, „ich habe noch nie über die inneren, weiblichen organe nachgedacht, wenn ich mir das so überlege, würde es mir nichts ausmachen, wenn meine gebärmutter schrumpfte, ich hätte dann ruhe -„. Samuel wühlte in seinen aktenordnern. das ,pillenproblem‘ schien ihm geläufig zu sein (er interessierte sich für die profite der pharmazeutischen Industrie), wieso sprach er nicht mit mir, die ich die pille schluckte, darüber?
Ein paar monate später stand mein entschluss fest, das neue plastik-T mit dem kupferdraht auszuprobieren, ich dachte an die krampfadern. seit ich im krankenhaus arbeitete, hatte ich oft gestaute beine.
Samuel war im Urlaub, ich sprach mit ihm nicht viel darüber, die entscheidung traf ich mit den frauen von ,Brot und Rosen‘, mit denen ich inzwischen zusammenarbeitete, am tag, an dem mir das pessar eingesetzt werden sollte, fand in Köln das Tribunal der frauengruppen gegen den § 218 statt, die beiden daten waren zufällig zusammengefallen, da die Wartezeiten im Klinikum so lange waren, wollte ich das einsetzen nicht hinausschieben.
Samuel war aufgebracht, er fand es medizinisch verantwortungslos, dass ich hinterher gleich nach Köln fliegen wollte, ich blieb dabei, ich konnte mich des gefühls nicht erwehren, daß er mich eigentlich vom Tribunal abhalten wollte.
Das einsetzen verlief schmerzlos, danach, als ich mit Samuel noch kurz beim frühstück sass, begann ein ziehen unten im becken wie bei der menstruation. die gebärmutter krampfte sich zusammen.
Samuel fuhr mich zum flughafen, schweigend, den tränen nahe, sagte ich schliesslich, wenn ich seine anteilnahme wirklich einmal brauchte, wäre auf ihn kein verlass. er meinte, wenn ein mensch so uneinsichtig wäre wie ich, könnte er von ihm aus verrecken.
In Köln kümmerten sich die andern frauen um mich, wollten genau wissen, wie es gewesen war, und ob ich schmerzen hatte, nach ein paar stunden liessen die krämpfe nach, für die dauer des Tribunals war ich ohne beschwerden.
Ich konnte nie nachsehen, ob das pessar richtig lag. die selbstuntersuchung kannten wir noch nicht, ich wusste nicht, wo der muttermund lag, wie er aussah, woran der penis manchmal stiess. die vagina – ein dunkler schlauch? was kam danach? gab es perlen in der tiefe des körpers, korallenriffe?
Konnte die verloren gegangene eigenkörperlichkeit durch die hände eines geliebten wieder zum leben erweckt werden? war es nicht das, wonach wir suchten, während der ärmlichen dauer einer nacht, der sekundenschnelle eines Orgasmus / was ist ein orgasmus? einmal überall hin atmen können, bis unter die Schulterblätter und in die beckenschalen hinein, spüren, warm werden, sein. alle falten des körpers öffnen, nicht mehr zusammenziehen und anspannen müssen.
ein ganzer mensch werden.
Ob ich über sexualität die auseinander gerissenen zusammenhänge von kopf bis fuss neu erahnen würde? wenn ich in einer umarmung die anspannung aller muskeln spüren und die lockerheit danach auskosten könnte, wenn ich mich beim berühren anderer haut von ferne der eigenen erinnerte – würde ich sinne ausleben, die sonst nicht zu worte kamen? könnte ich einen andern menschen erkennen? wäre es möglich zu erkennen, auf welche art der andere mensch existierte?
„Du bist noch nicht soweit“, sagte er.
„Du hast keinen orgasmus gehabt.“
Ich erstarrte, woher wollte er das wissen?
Es war die dritte nacht, in der wir miteinander schliefen, wieder hatte ich schmerzen gehabt, auf dem laken lag noch blut.
„Doch!“ behauptete ich fest, „ich hatte einen!“ schnell umdrehen, die schützende decke an mich ziehen und nachdenken, was ging es ihn an?
Ich würde üben und üben, irgendwie würde ich es schon schaffen.
Die frau, die sich im koitus mit bewegt
kommt von weit her
schaut sie genau an
die frau, auf der ihr liegt!
hinter ihr tun sich wüsten und abgründe auf.
sie hat lange strecken von vergessen zurück
gelegt, herzbrocken im geröll verstreut, felsen
vor frische wunden geschoben
ihre gefühle sind abgemagert.
jahre auf der eisdecke eurer ängste zugebracht
die zacken der gefühlsarmut gerundet so sanft
so samten so weich.
sie trägt ein meer
von angestauten orgasmen in sich,
das sie
zu keinen lebzeiten wird ausgiessen können
die zeit drängt, die gedanken brennen, sie ist
eine ruferin in der wüste, die frau
auf der ihr liegt
schaut sie genau an!
Stefan, Verena: Häutungen : autobiografische Aufzeichnungen, Gedichte, Träume, Analysen. – München : Verl. Frauenoffensive, 1975. – 127 S.