Sommeruniversität 1976: Frauen und Wissenschaft

Sommeruniversität für Frauen

6. -10. Juli 1976
Ort: Rostlaube, Habelschwerdter Allee 45

Vor 100 Jahren, in der ersten Frauenbewegung, erkämpften sich Frauen den Zugang zu Hochschulen und qualifizierten Berufen. Es war ein erster Schritt. Seit damals hat sich die Lage der unbezahlt arbeitenden Hausfrauen und der Arbeiterinnen, um deren Verbesserung gekämpft wurde, kaum geändert.

Von allen Hochschulabsolventen bis zum Jahre 1971 war nur jede 31. eine Frau (von 24 708 000 waren 836 000 Frauen). Noch weniger Frauen erhielten Arbeitsplätze in Lehre und Forschung. Die wenigen, die sie erhielten, hatten keine Möglichkeiten, frauenspezifische Inhalte zu vertreten. Wir müssen deshalb den Kampf, der vor 100 Jahren begann, mit neuen Forderungen und Zielen wieder aufgreifen.

Wir sind eine interdisziplinäre Gruppe von Dozentinnen der TU und FU und verstehen uns als Teil der internationalen Frauenbewegung. Wir kämpfen sowohl gegen unsere allgemeine Ausbeutung als Frau wie gegen die Diskriminierung an unserem besonderen Arbeitsplatz. Aus diesem Verständnis entstand die Sommeruniversität. Wie die Frauenbewegung in den USA mit ihren „women’s studies“, so fordern auch wir Arbeits- und Forschungsmöglichkeiten mit frauenspezifischen Forschungsinhalten. An den deutschen Universitäten haben Frauen begonnen, sich in Gruppen zu organisieren, Hochschulzeitungen herauszugeben, frauenbezogene Seminare und Projekte durchzuführen und in Examensarbeiten eigene Forschungsansätze zu entwickeln. Wir glauben, daß die Sommeruniversität ein Beitrag zur Entwicklung dieser Ansätze sein kann. Wir wollen einige Arbeiten und die Formen interdisziplinärer Gruppenarbeit einer breiten Öffentlichkeit von Frauen bekannt machen, zur Diskussion stellen und zur eigenen Initiative anregen.

Darüberhinaus soll die Sommeruniversität unsere Forderungen und unsere Bewegung speziell im Hochschulbereich unterstützen. Unsere hochschulpolitischen Ziele lassen sich in zwei Punkten umreissen:

Ausbau, nicht Einschränkung von Ausbildungsmöglichkeiten und qualifizierte Arbeitsplätze für Frauen.

Die Einsparungen im Bildungsbereich und die Art, wie sie durchgesetzt werden, erweisen sich in ihren Auswirkungen als gezielter Angriff auf die Qualifizierung von Frauen. Dadurch wird der Anteil der Frauen an der Hochschullehrerschaft, der ohnehin lächerlich gering ist, weiter verkleinert. Schlimmer noch sind die gesellschaftlichen Folgen: das Berufsverbot für junge Frauen wird auf kaltem Wege durchgesetzt — die traditionelle Rolle als Hausfrau und Mutter wird für sie wieder zur vorherrschenden Lebensperspektive. Deutlich wird diese Tendenz an folgenen Beispielen: Der Zugang zum zweiten Bildungsweg, der in den letzten Jahren zunehmend und zum Teil überwiegend von Frauen genutzt wurde, wird für Frauen durch die Voraussetzung einer fünfjährigen Berufspraxis faktisch gesperrt. Der Numerus Clausus bewirkt jetzt schon, daß Abiturientinnen „freiwillig“ ihr Berufsziel zurückstecken und daß die elterlichen Anstrengungen sich auf die Berufsausbildung der Söhne konzentrieren. Teilzeitassistentenstellen, die für Mütter meist die einzige Möglichkeit waren, wissenschaftlich weiterzuarbeiten, werden abgeschafft. Der universitäre Mittelbau und besonders die Assistentenstellen werden drastisch reduziert, Assistenzprofessuren abgeschafft: also der Bereich, in dem Frauen — falls überhaupt — innerhalb der Universität Arbeitsmöglichkeiten fanden. Aber: Wir wollen nicht nur mehr Stellen innerhalb einer Universität, die ansonsten unverändert bleibt. Wir wollen die Machtstruktur der Universität und die Inhalte ihrer Wissenschaft verändern. Wir stellen damit die gegenwärtige Rolle der Universität in dieser Gesellschaft in Frage; als Sozialisationsinstanz für sterotype Geschlechterrollen und als Ort für eine Wissenschaft, deren Ergebnisse nicht nur unsere Psyche, sondern — etwa mit der Pille — auch unseren Körper zerstören.

Das Thema ,Frauen‘ wird in der traditionellen Wissenschaft entweder gar nicht oder mit unerträglichen Vorurteilen behandelt.

Deshalb: Lehr- und Forschungsinhalte müssen von Studentinnen, Dozentinnen und anderen Frauen in der Universität so bestimmt und bearbeitet werden können, daß sie den Bedürfnissen aller Frauen und den Erfordernissen des Kampfes um unsere Befreiung entsprechen.

Deshalb fordern wir: auf allen Ebenen des Hochschulbetriebs muß der Anteil der Frauen ihrem realen Anteil in der Bevölkerung entsprechen.

Das setzt voraus

  1. Erhaltung und Erweiterung der Einrichtungen des zweiten Bildungswegs
  2. Zusätzliche familienunabhängige Stipendien für Frauen

Weiter fordern wir:

  • Die Einrichtung eines Frauenarchivs und einer -bibliothek
  • Einrichtung von Studienschwerpunkten zur Situation der Frau an allen Fachbereichen und Instituten
  • Anerkennung von Examensarbeiten
  • mehr Arbeitsplätze für Frauen in Lehre und Forschung
  • frauenspezifische Lehrstühle, Assistenzprofessuren, Assistentenstellen

PROGRAMM:

Dienstag, 6. 7.: Eingangsveranstaltung: zur Situation der Frauen an der Universität. Ziele der Sommeruniversität. Vorstellung der Studentinnengruppen, nachm.: Frauen im Erziehungswesen

Mittwoch, 7.7.: Frauen im Strafrecht
Frauen in der Psychiatrie abends: Frauenfest

Donnerstag, 8.7.: Zur Geschichte der Hausarbeit
Zur Situation der Hausarbeit heute

Freitag, 9. 7.: Frauen in der Literatur
Frauengestalten in der Kunst des 19. Jahrhunderts

Samstag, 10. 7.: Frauen in der russischen Revolution Frauen im Faschismus nachm.: Abschlußdiskussion

V.i.S.d.P.: Dozentinnengruppe an FU und TU, Habelschwerdter Allee 45

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