Marianne Wex: „Weibliche“ und „männliche“ Körpersprache als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse

Marianne Wex, 1977

Unter Körpersprache verstehe ich alle körperlichen Bewegungen, die wir in unserem alltäglichen Leben machen. Von der Art, wie wir gehen, stehen, sitzen, liegen bis hin zu unserem Gesichtsausdruck.

Die meisten Bewegungen sind unbewußt. Dennoch – oder gerade deshalb – sind sie ein ganz wesentlicher Teil der Verständigung der Menschen untereinander. Sie geben Signale, die oft schwerer wirken als Worte. Ob ein Mensch schüchtern ist oder selbstbewußt, deprimiert oder fröhlich, erfolgreich oder erfolglos, bittend oder fordernd – all das sieht man auf den ersten Blick daran, wie er seinen Körper hält und bewegt.

Ich unterscheide vor allem zwei große Kategorien von Körperhaltungen und Gebärden: wortlose und solche, die die Sprache begleiten oder unterstreichen. Eine dritte Kategorie sind die Gesten, die von bestimmten Absichten und Notwendigkeiten begleitet sind, das heißt: wie Menschen gehen, arbeiten, mit Gegenständen umgehen.

Da es mir zunächst nicht um die bewußte Pose, sondern um das unwillkürliche, eher unbewußte Hinnehmen von Haltungen ging, achtete ich beim Fotografieren darauf, nicht bemerkt zu werden. Als ich die Ergebnisse meiner Arbeit mit Abbildungen in Zeitschriften und in der Werbung verglich, wurde mir klar, daß die Unterschiede gering sind. Frauen und Männer bewegen sich tatsächlich so, wie es ihnen von ihren Leitbildern suggeriert wird.

Frauen und Männer lernen von Kind auf, sich unterschiedlich zu bewegen. Ihre unterschiedliche Körperhaltung ist Ausdruck ihrer unterschiedlichen Tätigkeiten und unterschiedlichen Rollen. Eine Frau und ein Mann, die dasselbe an und ähnliche Frisuren, gleiche Umrisse und Gewicht hätten, sie wären dennoch auf den ersten Blick sofort als Frau und Mann zu unterscheiden: ihre Körper signalisieren „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“.

Die Schülerin Ela Kasper hat in dem Bericht „Meine beste Freundin“ Alice Schwarzer dazu ihre sehr treffenden Beobachtungen erzählt: „Ela: Hast Du ne Ahnung, wie erniedrigend das ist. Wenn man sieht, wie die Frauen sich so geben in den Diskotheken, schon wie sie laufen. So kontrolliert. Und möglichst kleine Schritte machen und mit dem Hintern, mit den Hüften wackeln, den Körper gerade und den Kopf so ein bißchen nach hinten und manchmal auch beim Reden nach unten gucken. Sich nicht natürlich geben, sondern wie die Jungs, die Männer es schön finden. Und wenn man sieht, wie die Rollen so verteilt sind . . . Die Mädchen, die sitzen schüchtern, artig an den Tischen und trinken ihre Cola. Die Jungens stellen sich an die Tanzfläche. Breitbeinig. Machen Bemerkungen. Gucken sich die Mädchen von oben an. Allein schon dieses Breitbeinige, wenn ich das schon sehe … In der U-Bahn zum Beispiel auch. Das hat mich letztesmal so geärgert. Da sitzen drei Frauen auf ner Bank. Ne Ältere, ne Mittlere und ich und ein Typ. Und wir drei quetschen uns in eine Ecke und der sitzt da. Beine so breit, daß kein Platz war. Und wir haben uns in die Ecke gequetscht. Ich bin so wütend geworden! Das kannst Du Dir überhaupt nicht vorstellen. Ich hätte platzen können. Und trotzdem hab ich mich nicht getraut, etwas zu sagen.“

Die Selbstverständlichkeit, mit der die Männer von dem Raum um sie Besitz ergreifen, ist physischer Ausdruck ihrer psychischen und ökonomischen Besatzung. Frauen haben da kaum Platz, gehen nicht in der Mitte, sondern am Rand, klemmen Arme und Beine eng an ihren Körper, entschuldigen sich für ihre Existenz: sich schmal machend, verkleinernd, verniedlichend, verharmlosend, demütig, sich anbietend, in sich zurückgezogen, sich versteckend – kein Wunder, daß Frauen spontan eingeschüchtert und verängstigt wirken; kein Wunder, daß sie Aggressionen dadurch geradezu provozieren!

Die für Frauen besonders typische enge Arm- und Beinhaltung läßt sich übrigens auch bei männlichen Menschen beobachten: dann aber bei ganz jungen, also Kindern, ganz alten oder aber bei offensichtlich Unterpriviligierten. Das heißt: sozial schwache männliche Menschen haben ähnliche Körperhaltungen wie weibliche Menschen.

All diese Ideale werden uns Frauen unbarmherzig diktiert, Befolgen wir sie nicht, gehören wir zum Abfall dieser Gesellschaft. Wir müssen schon real sehr stark und unabhängig sein, um uns die Kühnheit erlauben zu können, diesem Schönheits-Diktat nicht nachzugeben. Typisch für dieses Diktat ist ein Artikel der Hamburger „Morgenpost“, die unter dem Titel „Sind Sie auch die ideale Badenixe?“ aufzählte, wie diese ideale Badenixe auszusehen habe:

1. Glänzende Haare, strahlende Augen und ein „gewinnendes Lächeln als Zeichen von Großzügigkeit“.

2. Schmale Schultern und lange „elegante“ Arme.

3. Ein „vorwitziger“ Busen: hübsch, fest und leicht nach oben gewölbt, die Spitze „Naseweis“.

4. Ein „kleiner niedlicher Po“ soll unterhalb der Taille und Hüfte „in sanften Kurven nach außen schwellen“.

5. Möglichst lange, „wohlgestaltete“ Beine, glatt und haarlos.

6. Schmale Fußfesseln. Das ist „sexy“. Dazu „polierte Zehennägel“.

Wäre die Umkehrung möglich? Der „ideale Strandmann“ mit den „vorwitzig vorgewölbten Penis“, dem „schwellenden Po“ und den „eleganten Armen“? Nein. Es wäre lächerlich, in so einem Vokabular überhaupt einen Mann zu beschreiben…

Unser Aussehen und das Vokabular, das uns beschreibt, sind dazu angetan, uns zu verharmlosen. Frauen sind „niedlich“, sind ewig junge, austauschbare Püppchen. Und je besser und früher wir darauf gedrillt worden sind, je größer unsere Abhängigkeit und unser Angewiesensein aufs Gefallen ist, um so mehr bemühen wir uns, der weiblichen Stereotype zu entsprechen, uns entsprechend herzurichten – oder sollte man sagen: hinzurichten…?

Darin haben wir eine Jahrtausende alte Tradition. So lang die Geschichte unserer Unterdrückung ist, so lang ist der Zwang für Frauen, lieblich zu sein und kindlich. Das sind die Kennzeichen des Schwachen, oder, besser gesagt, des geschwächten Geschlechts. Auch die ranghöchste Frau der Geschichte unseres christlichen Abendlandes, Maria, wurde durch die Jahrhunderte zwar je nach Mode variierend dargestellt, fast immer aber hatte sie einen kindlichen, passiven, leicht verblödeten Gesichtsausdruck.

Und bei unseren Körpern ist es nicht nur eine Frage der Silhouette, es ist auch eine Frage der Konsistenz. Jungen werden von klein an dazu angehalten, stark zu sein, sich zu bewegen, zu trainieren. Mädchen werden an einer Entwicklung ihrer Muskeln und Entfaltung ihrer Kraft und körperlichen Energie regelrecht gehindert. Aktiv oder gar aggressiv hat ein Mädchen nicht zu sein. Wut soll sie nicht nach außen, nicht gegen die, die sie wütend machen, richten, sondern nach innen kehren. Resultat: stille, brave Mädchen; gehemmte, depressive Frauen.

Frauen, die es dennoch wagen, offensiv oder kräftig zu sein, sind „Mannweiber“ und werden -wie die Sportlerinnen – oft verspottet. Und Frauen, die so zart und schwach eigentlich gar nicht sind, lernen ihre Stärke so zu verstecken, daß auch noch das schwächlichste Männlein neben ihnen wie ein Held aussieht.

Paare finden sich möglichst so zusammen, daß er einen halben Kopf größer ist als sie, und sie möglichst zu ihm aufblicken kann. Ist sie gleichgroß oder gar größer, wird sie sich in der Regel eine in sich zusammengesackte Haltung und Knieknick angewöhnen, um kleiner zu wirken.

Auch diese Norm ist so zwingend, daß manche Eltern neuerdings sogar nicht davor zurückschrecken, den Wuchs immer kräftiger hochwachsender Mädchen durch einen operativen Eingriff stoppen zu lassen („Sonst kriegt sie später mal keinen Mann mit“). Wie schädlich das für den Körper ist, kann man sich an fünf Fingern abzählen . . .

Apropos Finger. Auch die „weibliche“ Hand hat sich ganz dem Männer-Mode-Diktat zu beugen. Schwach, zart, möglichst klein, mit schmalen Fingern und Handgelenken, kurzum: möglichst zerbrechlich soll sie aussehen. Je kraftloser, je ungeprägter von irgendeiner körperlichen Arbeit, um so besser. Kunstvolle, lange unpraktische Fingernägel beweisen, daß diese Hand nie etwas tut…

Oder doch? Wie läßt sich ein solches Ideal mit der Realität der Frauen verbinden, die ein Doppeltes von der Arbeit der Männer leisten und im Haus wie im Beruf den überwiegenden Teil der Dreckarbeit (Fließband, Tippen, Spülen, Putzen…)? Genau das ist der ganze Hohn! Daß wir auszusehen haben wie die Teepüppchen und arbeiten müssen wie die Ackergäule. Zu beidem sind wir gezwungen, beidem jedoch können wir nicht „richtig“ gerecht werden, weil das eine dem anderen widerspricht.

Wie soll die Durchschnittsfrau bei all den Sorgen, die sie heute hat, faltenlos sein? Wie sollen ihre Hände, bei all den geschleppten Supermarkttüten, samtweich bleiben? Wie sollen Körper, die den ganzen Tag über Maschinen oder Spülsteine gebeugt sind, „zart und elegant“ wirken?

Und ist es überhaupt erstrebenswert, auf Gesicht und Körper nicht die Spuren des täglichen Lebens zu tragen? Was für eine Vergewaltigung, uns zu einem Äußeren zu zwingen, das nicht unserem Innern entspricht! Während all dieser Arbeit wurde mir natürlich auch mein eigenes Verhalten überdeutlich.

Ich begann, zu experimentieren. Ich nahm bewußt „männliche“ und bewußt „weibliche“ Haltungen ein und horchte gleichzeitig in mich hinein, was ich dabei empfand . . . Hielt ich mich sehr „weiblich“, fühlte ich mich mutlos und an den Rand gedrängt, hielt ich mich eher „männlich“, fühlte ich mich offensiver und stärker

Klar wurde mir dabei aber auch, daß die „männlichen“ Haltungen zwar relativ bequemer und freier sind als die „weiblichen“, daß aber auch sie keine Lösung sind. Die typischen Männerposen sind oft starr und zwanghaft breit, dominant und aggressiv -gerade auch dann, wenn sie Lässigkeit vortäuschen wollen.

Nachdem ich lange genug Menschen heimlich mit meiner Kamera beobachtet hatte, beschloß ich, mit einigen Frauen und Männern einmal das Gegenteil durchzuexerzieren: Frauen sollten „männliche“ Posen einnehmen und Männer „weibliche“. Auf Fotos zeigte ich ihnen die typischen Haltungen des jeweiligen Geschlechts und fotografierte dann die Frauen und Männer einmal „weiblich“ und einmal „männlich“. Dabei stellt sich heraus, daß es den Frauen leicht fiel, sowohl „weibliche“ als auch „männliche“ Haltungen einzunehmen – wenn ihnen auch die Frauen-Posen geläufiger und selbstverständlicher waren. Die Männer aber hatten Probleme: die „weiblichen“ Posen wollten ihnen zunächst so gar nicht gelingen. Ganz ernsthaft mochte sich zunächst kein Mann hinstellen wie ein Weib. Sie kamen sich dabei so lächerlich vor, daß sie die Frauenposen zunächst parodierten, das heißt, überzogen und damit noch stärker ins Lächerliche zogen. Als ich dann trotzdem auf die ganz präzise Imitation drängte, hörte ich von den Männern häufig den Satz „Das kann ich nicht“ -was natürlich Unsinn war, denn sie konnten es letztendlich sehr wohl. . .

Warum es so gelaufen war, wurde mir dann klar: Für eine Frau ist es eine Erweiterung, ist es befreiend, Männerposen einzunehmen. Für einen Mann ist es eine Einengung, ist es erniedrigend, Frauenposen einzunehmen!

Unter meinen „Mannequins“ waren auch zwei 14jährige Mädchen, die sich bei den Männerposen sehr amüsiert hatten. Bei den Frauenposen hingegen wurden sie zunehmend mürrisch. Schließlich wurde es der einen zuviel und sie brach die Posiererei ab mit dem Satz: „Jetzt weiß ich, warum Marilyn Monroe Selbstmord gemacht hat!“

(Quelle: EMMA 12/1977, S.39-43)

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