Alice Schwarzer: Antwort an Nannen & Co.

Alice Schwarzer, 1978

Die Heftigkeit der Reaktion ist entlarvend. Einen seitensprengenden Kommentar diktierte Bundesdeutschlands Medien-Halbgott Augstein aus seiner Chefetage, und auch der direkt visierte,,Stern“ nahm’s nur scheinbar auf die leichte Schulter: Auf Grund eines immer noch wachen journalistischen Instinktes fand er das Thema allemal titelwürdig, wenn er auch gleichzeitig versuchte zu verniedlichen. . . Nicht Qualität, Quantität signalisierte die Getroffenheit der anderen Seite.

Auf dem Papier landete Übliches. Den Frauen-Argumenten hatten die Medien-Herren nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen, also versuchten sie es wie gewohnt mit der Diffamation und Einschüchterung der Protestierenden — um so vom Protest selbst abzulenken. Stil: ,,freudlose Grauröcke“, „jämmerliches Selbstbewußtsein“, ,,Zwangs-fixierung aufs Objektsein“ (Nannen), ,,mangelndes Selbstwertgefühl“, „ärgerliches Selbstmitleid“, „Meinungs- und Geschmacksdiktatur“ (Augstein). Nun, wir wollen uns ersparen auszuloten, auf welche persönliche Verfassung und Lebensweise der Autoren diese Töne schließen lassen . . . Wir wollen uns nicht ablenken lassen, sondern zur Sache kommen.

Worum geht es? Um das Verbot von Nacktheit? Mitnichten. Gegen Nacktheit an sich ist selbstverständlich nichts einzuwenden. Es ist noch nicht einmal das Ausschlag-gebende, daß auf den Titeln, gegen die wir jetzt exemplarisch Klage erhoben haben (exemplarisch, weil diese eine Klage juristisch zwar nur den ,,Stern“ meint, sich aber alle andern durchaus angesprochen fühlen dürfen – und das ja auch tun), die Models meist nackt oder halbnackt sind. Ausschlaggebend sind die Posen, ist der Gesichtsausdruck, ist die ganze Haltung, die signalisieren sollen: Ich bin ein willenloses Wesen, geschaffen, dir zur Verfügung zu stehen, bereit, alles zu tun, was du verlangst.

Hier werden weibliche Menschen degradiert zu läufigen Hündinnen, die vor ihrem Herrn herwinseln. Hier geht es um mehr, um sehr viel mehr, als um unsere Rolle als Sexualobjekt. Hier geht es um die Verbreitung der Ideologie von der weiblichen Minderwertigkeit (im progressiven Sprachgebrauch auch gern verbrämend „Anderssein“ genannt). Unterworfen, verfügbar, benutzbar. Im Bett wie im Büro, auf der Straße wie auf der Leinwand.

Und genau das „begehren“ sie an uns. Spielt eine nicht mit, wird sie flugs mit dem Stigma der „Frustrierten“, der „von Männern nicht Begehrten“ gebrandmarkt. Denn bei dem von Männern für Frauen geschaffenen Attraktivitätsbegriff geht es nicht um „Schönheit“ (die von Kultur zu Kultur sowieso variiert), sondern um die Einpassung in das Bild vom „relativen Wesen“ (Simone de Beauvoir) – Wesen, die nur in Relation zu ihm, in be-zug auf ihn überhaupt eine Existenzberechtigung haben (die Freundin/Frau/Sekretärin von.. .). Wer wir selbst sind und was wir selbst wollen, darf unsere Sorge nicht sein. Wie ER uns will und was ER erwartet, soll uns in Atem halten. Von vorne? Oder lieber von hinten? Knochig oder knackig? Sanft oder wild? Schmollend oder aggressiv? Wie ist es recht?

Die Sklaven des 20. Jahrhunderts tragen keine Ketten mehr. Es gehört nicht mehr zum guten Ton, Leibeigene offen zu halten. Verfügung über andere gestehen die Herrenmenschen 78 sich nur zu, wenn diese Verfügten („Begehrten“) es selbst so wollen und sich von Herzen wohl fühlen in ihrer Rolle. – Doch wehe, wir sprechen das aus – dann leiden wir an „Realitätsverlust“. Denn gegen Leichtlohngruppen und § 218 dürfen wir inzwischen gerade noch kämpfen, uns aber mit anerkannt Diskriminierten, mit Schwarzen oder gar Juden vergleichen? – Bitte keine Geschmacklosigkeiten! Und vor allem keine Taktlosigkeiten. Denn solche realistischen Parallelen – die nötig sind, weil oft erst das die Unge- heuerlichkeit der Frauen-,.Normalität“ klarmacht- verstoßen gegen die guten Männersitten. Dazu ein paar Fakten: In den USA zum Beispiel sieht die Lohnhierarchie heute so aus: weiße Männer, schwarze Männer, weiße Frauen, schwarze Frauen. Das heißt: Sexismus, die Diskriminierung eines Geschlechts, wiegt schwerer als Rassismus. Bei beiden ist die angebliche „Natur“ des Unterdrückten Anlaß zur Unterdrückung, ist die Biologie Vorwand zur Benachteiligung, ist das geschaffene Bild Rechtfertigung zur Degradierung. Der „trolläugige, tumbe Onkel Tom“ bot sich zur Versklavung förmlich an. Die „hakennasigen, verschlagen fremd blickenden Juden“ waren es über Jahrtausende „selber schuld“, daß sie in Gettos gesperrt und ausgeschlossen wurden. Und die „knackigen“ Mädchen von Mannen & Co provozieren förmlich Sprüche wie „Hallo, Süße“ und „A/a, so allein heut abend . . .“; oder auch zu Taten wie „in den Po kneifen“ oder „auf der Straße oder im Ehebett vergewaltigen“. In den Reaktionen der Medienmänner steckt viel Demagogie, viel Unwahres wider besseres Wissen, aber“ auch ein wenig Unvermögen, zu begreifen. Wie sollten sie auch, sie stecken schließlich nicht in unserer Haut. Und warum sollten sie auch, sie haben schließlich den besseren Part. So kritisierte Nannen in wirklich echter Verständnislosigkeit, glaube ich, Margarete Mitscher-lich, als sie sich als Mitklägerin im Fernsehen gegen den Vorwurf, dies sei Zensur und eine reaktionäre Prüderie, verwahrte und daraufhinwies, daß die neuen sexuellen Freiheiten der letzten Jahre für Frauen nicht immerbefreiend, sondern oft nur neue Formen von Unfreiheiten waren.

Denn: Alles, wofür wir gekämpft haben und weiterkämpfen werden, könnte sich auch gegen Frauen wenden – nämlich dann, wenn es nicht die Frauen selbst sind, die darüber verfügen. So kann zum Beispiel die Pille zum Bumerang werden („Was, du schluckst nicht…?!“) und auch das Recht auf Schwangerschaftsabbruch („Schwanger? Dann treib doch ab!“). Und auch die Lockerung der Monogamie hat in so manchen Fällen Frauen nicht mehr Befriedigung, sondern nur eine ebenso zwanghafte Polygamie gebracht. Das Recht auf Nacktheit wurde dabei nicht selten zur Pflicht zur Nacktheit. Früher hatten wir jungfräulich und prüde zu sein, heute haben wir’s „locker, locker“ zu bringen -beide Male bleiben wir selbst auf der Strecke. Erlaubt ist alles, was dem Handelnden, dem Sujet, Spaß, aber andere nicht zum Objekt, nicht zum Opfer macht. Beide Kriterien sind bei dem, was wir hier öe-4 klagen und anklagen, nicht erfüllt. Daß es sich bei unserer Klage nicht um den Versuch der Zensur handelt, ist so selbstverständlich, daß es mir fast lächerlich scheint, es noch zu betonen. Ich bin nicht nur Frau, ich bin auch Journalistin und werde immer in den Reihen derer stehen, die mit aller Vehemenz für Freiheit überhaupt und damit auch für Pressefreiheit kämpfen! Aber Freiheit ist durchaus teilbar: Ein Stück gehört immer auch den anderen, und die Pressefreiheit wird -sehr zu Recht – schon im Grundgesetz Artikel 5 Absatz 2 beschränkt, wo es heißt, sie fände „ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schütze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre“. Auch Frauen stehen diese minimalsten Menschenrechte, steht das Recht auf persönliche Ehre und der Schutz vor Volksverhetzung – die Verhetzung aller Männer gegen alle Frauen – zu.

„Aus blinder Wut sollten sie nicht die politische Rechtsordnung zerstören helfen“, belehrte Rudolf Augstein in seinem Kommentar die Klägerinnen. Manche hielten das für einen intellektuellen Ausrutscher eines sonst klugen Mannes. Sie irren. Rudolf Augstein hat mit diesem Satz den Kern der Sache getroffen: Es geht um die Erschütterung einer Ordnung, in der Männer das Recht auf Erniedrigung von Frauen haben.

(Quelle: EMMA 08/1978)

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