Marielouise Janssen-Jurreit, 1976
Den Begriff »Sexismus«, die Diskriminierung eines Geschlechts, lancierte die Autorin mit diesem Buch 1976 nun auch im deutschsprachigen Raum. Sie versuchte einen umfassenden Überblick über Theorie und Praxis von Frauenunterdrückung und Frauenkampf, über Aktuelles und Historisches. Der Auszug, den wir hier bringen, leitet das Buch ein.
Auch diejenigen, die die Gesellschaft in kleinen Schritten reformieren wollen, gehen von der utopischen Vorstellung aus, daß Frauen nur deswegen eigene Organisationen bilden müssen, um sich irgendwann einmal, dann, wenn die Politik der kleinen Schritte zu einer Gleichstellung geführt hat, selbst aufzulösen. Die meisten Frauenorganisationen, die sich innerhalb von Parteien, Gewerkschaften und anderen Verbänden formiert haben, betrachten es als ihr Ziel, sich selbst überflüssig zu machen. Ihr erklärter Zweck ist es, Frauen in die Gesamtorganisation zu integrieren, die – noch, wie sie behaupten – von Männern dominiert wird. In der Illusion dieser Integrationsvorstellung verewigen sie sich selbst zu einflußlosen Vasallinnenorganisationen, die dem Ziel, das sie anstreben, nicht näherkommen. Diese Frauenorganisationen irren sich in doppelter Hinsicht. Sie verkennen den immanenten Charakter des Männerbündnisses, den unsere Institutionen besitzen. Staat, Wirtschaft, Parteien, Presse und Universitäten sind keine geschlechtsneutralen Institutionen, sondern eine ihrer wesentlichen Funktionen liegt darin, selbst unentwegt die männliche Identität herzustellen und ihr Selbstbeweise zu ermöglichen. In primitiven Gesellschaften schützt der Mann seine Identitätssphäre dadurch, daß er Tabus aufstellt. Einer Frau, die hinter die Kultgeheimnisse des Männerhauses kommen sollte, wird die Todesstrafe angedroht.
In unseren Systemen sind die Institutionen etwas flexibler. Einige Frauen werden integriert. Dadurch besitzen ihre Beherrscher ein Alibi. Der Ausspruch des bayerischen Landtagspräsidenten Michael Horlacher, daß eine einzelne Frau im Parlament wie eine Blume wirke, Massen von Frauen jedoch wie Unkraut, ist eine gute Illustration dafür. Schlagzeilen wie »Klatschmohn im Kornfeld«, »Farbtupfer im Landtagsgrau« kennzeichnen das We- sen dieser Form von Integration. Statistisch gesehen ist nicht einmal ein Trend zu erkennen, daß Frauen in einer größeren Quantität in die Entscheidungszentren vordringen. Im 18. Jahrhundert gab es mehr regierende Frauen als heute. In das System integrierte Frauen können häufig genug nur durch Akte von Mimikry in den Institutionen überleben. Selten können sie Vertreterinnen von weiblichen Interessen sein. In einer Studie über Arbeitnehmerinnen fand Helge Pross vor einigen Jahren, daß die meisten Frauen sich im Betrieb und am Arbeitsplatz wie Gastarbeiterinnen in der Welt des Mannes fühlen.
Ein weiterer Faktor, der für unabhängige Frauenorganisationen spricht, besteht in der Offenkundigkeit, daß in Parteien und anderen Großverbänden grundsätzlich die Geschlechter getrennt bleiben. Frauen machen in Parteien dasselbe wie in autonomen Frauengruppen – sie formieren sich nach Geschlecht, unterstellen sich jedoch männlicher Aufsicht und Kontrolle. Nirgendwo hat Integration wirklich stattgefunden, sondern innerhalb von Parteien und Verbänden werden die Gruppen nach denselben anthropologischen Merkmalen gebildet, die auch in primitiven Gesellschaften das Gemeinschaftsleben strukturieren, nämlich der Männerbund (Gesamtpartei), Jugend und Frauen. Dabei sind die meisten Jugendverbände Jungmännerbünde, die sich mit einigen Frauen garnieren.
Die Zulassung von Frauen zu Parteien oder Gewerkschaften wurde zu Anfang dieses Jahrhunderts von den männlichen Mitgliedern nach und nach bewilligt, als sich herausstellte, daß sie männliche Identitätssphäre durch ihre Mitgliedschaft nicht stören, sondern überall weibliche Mitgliedsgruppen bildeten. Dieses Verhalten ist weltweit zu beobachten. Die Unabhängigkeitsbewegungen, die nationalen Einheitsparteien, die sozialistischen und die bürgerlichen Parteien, Gewerkschaften, Kirchen – alle haben mittlerweile ihre eigenen Frauenghettos. Die meisten sind organisatorisch, finanziell und ideologisch von der sie kontrollierenden männlich dominierten »Gesamtorganisation« abhängig und müssen jede eigene Initiative von ihr genehmigen lassen.
Denn wer die Frau in Parteien, Gewerkschaften und Verbände integrieren will, bestimmt sie stets zum Objekt der Integration. Die Aufnahme in die bestehenden gesellschaftlichen Institutionen, die Macht ausüben und Entscheidungen treffen, erfolgt stets zu Bedingungen, die das Objekt der Integration nicht selbst bestimmen kann.
Eine feministische Selbstorganisation erfordert eine Trennung oder wenigstens eine Distanzierung von den Institutionen, die ähnliche politische Grundpositionen beziehen, wie Gewerkschaften und sozialistische Parteien westlicher Länder. Da der Feminismus grundsätzlich andere psychologische, sexuelle und ökonomische Beziehungen zwischen Männern und Frauen anstrebt, in denen es keinerlei Privilegien mehr gibt, ist die Vorbedingung für diesen Kampf eine separate oder wenigstens auf eigene Faust handlungsfähige Organisation der Frauen. (Erst wenn es den Frauenorganisationen der etablierten Parteien, Gewerkschaften und Großverbände gelingt, organisatorisch und in ihrer politischen Zielsetzung sich eigene Handlungsspielräume zu verschaffen, könnten sie wichtige Träger des Frauenkampfes werden.) Feminismus richtet sich gegen den patriarchalischen Charakter aller existierenden Institutionen ohne Ausnahme. Feministische und sozialistische Organisationen können Koalitionen bilden, um gemeinsame Ziele zu erreichen, aber auf der Grundlage der Gegenseitigkeit, nicht der einseitigen Vereinnahmung von Frauen für Ziele, bei denen für sie nichts oder wenig herauskommt. Frauen – als Unterdrückte der Unterdrückten – haben keinen Nebenwiderspruch des Kapitalismus zu bekämpfen, sondern einen gesellschaftlichen Gesamtwiderspruch, das Patriarchat. Eine wesentliche Aufgabe autonomer Frauengruppen besteht in der Bestandsaufnahme der weiblichen Situation, der Abhängigkeit, Ängste und Wünsche von Frauen, um eine selbstbewußte eigene Identität zu ermöglichen und zu formen. Der Feminismus hat als ein wesentliches bewußtseinsbildendes Ziel, die Geschichte der Frauen in ihr Selbstverständnis und ihre Identität zu integrieren. Nur durch historische Vergleiche können Frauen heute zu einer Standortbestimmung kommen. Es geht nicht darum, die Einzeltaten von Frauen in der Geschichte zu verherrlichen oder Frauen unkritisch zu beurteilen. Ihr Geschichtsdefizit zu beseitigen, kann nicht darauf zielen, der Geschichte der großen Männer eine Geschichte der großen Frauen hinzuzufügen, sondern die historische Forschung in ihren Fragestellungen und in ihren Wichtigkeitsund Rangvorstellungen zu berichtigen. (Auszug in: Alice Schwarzer (Hrsg.). So fing es an! – Die neue Frauenbewegung. München: dtv, 1983, S. 199-201.)