Deutsche Frauen im Aufbruch
Alice Schwarzer, 1972
Aktion 218 und was nun? Mit der Abtreibungs-Kampagne brachten Frauen ein Gesetz ins Wanken und eine Regierung in Bedrängnis. Jetzt gehen sie weiter. Fast unbeachtet von den Massenmedien gaben 400 Frauen auf dem ersten nationalen Treffen in Frankfurt das Signal für eine autonome Frauenbefreiungs-Bewegung, für ein Women’s lib made in Germany. Für den 11. Juni kündigten 36 Frauengruppen ein „Tribunal gegen den § 218 und seine Profiteure“ an. Ort der Handlung: Köln.
Der Frankfurter Weiberrat, bisher eher bekannt durch seine marxistischen Schulungsgruppen, erschien mit einem Lied auf den Lippen. Da reimten sich auf der Melodie von Lotta continua die „Puppen“ in der Werbung auf die „Leichtlohngruppen“ in der Arbeit, und die Zeile „Schluß mit Objekt sein in Betten“ auf „Frauen, zerreißt eure Ketten!“. — So ein wenig holprig klang das noch, trotzig und vor allem ungewohnt. Deutsche Frauen singen Kampflieder in eigener Sache — Ausdruck eines neuerworbenen Selbstbewußtseins, das ihnen, im Gegensatz zu den Amerikanerinnen und etlichen Europäerinnen, bis vor kurzem noch so ganz abgegangen ist. Premiere hatte der Protest in Noten in einer Frankfurter Jugendherberge, Ort des ersten überregionalen Treffens der 36 Frauengruppen, die heute die bedingungslose Abschaffung des Paragraphen 218 fordern. Zwei Tage lang diskutierten Berufstätige, Hausfrauen und Studentinnen ihr Selbstverständnis, ihre Ziele und Strategien. Die dabei gemeinsam erarbeiteten Resultate und Resolutionen machten den Frankfurter Frauenkongreß zu einem historischen Datum: „Die Gruppen,“ so hieß es in der abschließenden Presseerklärung, „die zunächst größtenteils nur aus dem Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen entstanden, haben erkannt, daß die Unterdrückung der Frauen in einem umfassenden gesellschaftlichen Zusammenhang zu sehen ist, der über die Abtreibungskampagne hinausgeht.“ — Das war das Signal zum Aufbruch.
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Kampf an zwei Fronten
Als erstes wurde, begleitet von vereinzelten Buhrufen, der Beschluß verkündet: „Männer werden ab sofort aus unserer kollektiven Arbeit in den Frauengruppen ausgeschlossen.“ Damit bekannten sich die Deutschen zum erstenmal prinzipiell zu dem heute in fast allen ausländischen Frauenbewegungen zum Prinzip erklärten Männerausschluß in einer ersten Etappe. Warum? „Weil wir eben einfach immer wieder untergebuttert werden!“ Weil auch emanzipationsbestrebte Frauen in Gegenwart von Männern den Mund nur schwer aufmachen und auch sympathisierende Männer nur allzu leicht in die gewohnte Führungsrolle verfallen. Vor allem aber, weil die Frauen einen Freiraum brauchen, der ihnen zumindest in der kollektiven politischer Arbeit die Analysierung ihrer spezifischer Unterdrückung erlaubt, und der sie wappnet für eine Auseinandersetzung an zwei Fronten Gegen eine Gesellschaft, die sie doppelt benachteiligt, und gegen die Männer, die diese Benachteiligung geschaffen haben und von ihr profitieren.
Was sich auf der Abschlußversammlung des Kongresses so anhörte: „Auch unterdrückte Männer unterdrücken Frauen. Privilegierte haben in der Geschichte ihre Rechte nie freiwillig preisgegeben. Deshalb fordern wir: Frauen müssen ein Machtfaktor werden innerhalb der ausstehenden Auseinandersetzung. Ein Hinderungsgrund, sich selbst zu organisieren, ist immer wieder der Legitimationsdruck der Frauen gegenüber den Männern. Wir bekämpfen den Anspruch der Männer, den Schwerpunkt der politischen Arbeit weiterhin allein zu bestimmen!“
Erfolg nach dem Abtreibungsschock
Das liest sich so glatt, war es aber ganz und gar nicht. Denn in der Frankfurter Jugendherberge trafen erstmals Frauen zusammen, die bis vor kurzem noch wenig gemein zu haben schienen. Da waren auf der einen Seit die Frauen, die es einfach leid waren. Leid sich mit Gratis-Hausarbeit, Leichtlohngruppen, minderen Karrierechancen und Gebärzwang herumzuplagen. Sie waren bisher noch nie aus ihrem privaten Lebensbereich herausgekommen und wurden durch die Aktion 218 zum erstenmal überhaupt mobilisiert (zwei Drittel der 36 Gruppen bildeten sich im Verlauf der Aktion 218).
Auf der anderen Seite standen die traumatisierten Erbinnen der Studentenbewegung. Drei insgesamt etwa 300 Frauen zählende Gruppen: der Frankfurter Weiberrat, die Münchner Rote Frauenfront und der Berliner Sozialistische Frauenbund. Sie hatten zwar die Lehre aus der auch bei Linken praktizierten Arbeitsteilung — Männer dachten, Frauen tippten — gezogen und sich separat organisiert, sie blieben aber dennoch Opfer des Legitimationszwanges gegenüber den Genossen. Nach einem vielversprechenden Auftakt im Frühling 1968 fielen die sozialistischen Frauen zurück in ihr theoretisches Ghetto. Sie redeten vom Klassenkampf, büffelten Marx und Mandel und reproduzierten innerhalb der Gruppen die Trennung vom sogenannten Privatleben und der Politik. Getreu der Genossenparole vom „Hauptwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital“ beließen sie es bei politökonomischen Studien, die den größte Arbeitsaufwand der Frauen, die Gratis-Hausarbeit, völlig außer acht lassen. Sie stellten ihr traditionelle Rolle nicht in Frage, verdrängte die eigenen Bedürfnisse nach freier Entfaltung in Beruf, Familie und im Zusammenleben mit dem Mann. Die Forderung der Genossen — „Wenn du frei bist, mußt du mit mir schlafen“ — schien ihnen eher ein Zeichen der neu gewonnenen Libertinage als ein Mißbrauch ihrer sexuellen Freiheit.
Erst der Schock der Selbstbezichtigung („Ich habe abgetrieben“) brachte die dogmatisch verhärteten Genossinnen und die theoretisch unvorbelasteten Frauen zusammen. Sie entdeckten, daß sie gemeinsame Interessen haben. Ihr Erfolg ermutigte sie. Zum erstenmal. Denn:
„Deutsche Frauen verbrennen keine Büstenhalter und Brautkleider, stürmen keine Schönheitskonkurrenzen und emanzipationsfeindliche Redaktionen, fordern nicht die Abschaffung der Ehe und verfassen keine Manifeste zur Vernichtung der Männer. Es gibt keine Hexen, keine Schwestern der Lilith, wie in Amerika, nicht einmal Dolle Minnas mit Witz wie in Holland. Es gibt keine wüsten Pamphlete, keine kämpferische Zeitschrift. Es gibt keine Wut.“ — so beklagte noch vor Jahresfrist „Brigitte“, das modische Journal, seine vergeblich gehaltene Umschau nach einer fotogenen Frauenfront. „Brigitte“ hatte recht. Zwischen Hamburg und München dominierte wie gewohnt die deutsche Was-sich-der Frau-ziemt-Ideologie. Nur nicht auffallen. Nur nicht auffallen. Nur nicht unweiblich sein.
Der Mangel an Tradition bremst.
Dabei mangelte es der Bundesbürgerin herzlich wenig an Anlässen zur Wut. Denn im Gegensatz zu dem, was so gern in progressiven Gazetten verbreitet wird, ist sie noch nicht einmal de jure gleichberechtigt. Zum ideologischen und gesetzlichen Gebärzwang kommt der Verlust der Identität der Ehefrau durch die erzwungene Aufgabe des Namens, kommt der Stichentscheid und damit das letzte Wort des Vaters bei der Erziehung der Kinder und die gesetzlich zementierte Pflicht zur Hausarbeit (§ 1356 des BGB: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“).
Von der de-facto-Situation ganz zu schweigen. Wenn sich bis zum Manifest der 374 Selbstanklägerinnen („Ich habe abgetrieben“) im Juni vergangenen Jahres trotz allem nur Zaghaftes in deutschen Küchen und Vorzimmern regte, dann liegt das — wie man schon bei Clara Zetkin nachlesen kann — an der mangelnden Tradition im deutschen Frauenkampf. 1928 klagte Clara, die von Lenin für ihren couragierten Frauenkampf verbunden mit einer sexuellen Revolution oft genug gemaßregelt worden war, in Moskau:
„Es muß auffallen daß in dem revolutionären Sturm und Drang 48/49 in Deutschland nur wenig einzelne Frauen, noch weniger fordernde Frauenmassen handelnd hervorgetreten sind, geschweige denn Frauenorganisationen, die beherzt und kräftig in das politische und soziale Geschehen eingegriffen hätten.“
Nein, deutsche Frauen stürmten weder die Bastille noch das Patriarchat. Sie haben keine ‚ Märtyrerinnen. Sie wurden nicht Opfer der Guillotine wie Olympe de Gouges, die während der französischen Revolution das Manifest über die Rechte der Frauen verfaßt hatte, und sich nach bestandenem Kampf—wie viele ihrer Schwestern — nicht wieder auf ihren „angestammten“ Weiberplatz in der Küche zurücktreiben lassen wollte. Ja noch nicht einmal Opfer der Lächerlichkeit wie die englischen Suffragetten, die für die Durchsetzung des Frauenwahlrechts mit ihren Regenschirmen auf so manchen Männerkopf schlugen. Deutsche Frau sein hieß, wohlgeübt sein im honetten Streben nach Rechten, nie und nimmer aber in der Revolte gegen den Mann.
Bis zum Januar 1968. Damals verteilten zwei Frauen — eine davon war Helke Sanders, die später vor dem SDS die inzwischen historischen Reden über das neue Verständnis der Frauen hielt — ein erstes Flugblatt für Frauen an der FU. Es richtete sich an all die Apo-Mütter, deren schöne Theorie sich nicht deckte mit ihrer unschönen Praxis: nämlich der Alleinverantwortung für die Kinder. Innerhalb weniger Monate wuchs die Gruppe, die sich ab Mai „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“ nannte, auf etwa 700 Aktive an. Männer waren ausgeschlossen.
Der Aktonsrat ist nicht, wie oft falsch berichtet wird, aus dem SDS hervorgegangen. Die ersten Frauen waren überwiegend Berufstätige, die zu dem weiten Kreis der Apo zählten. An den SDS selbst traten die rebellierenden Frauen erst im Herbst 1968 heran, nach der Schaffung der ersten Kinderläden und einer Kindergärtnerinnen-Kampagne. Warum? „Weil wir dachten, das ist so eine Art Partei, da kann man lernen, wie man Klassenkampf macht.“ (Helke Sanders)
Eine etwas naive Sicht der Dinge, die den Frauen rasch verging. Die Reaktion der Genossen war gutmütiger Spott. Bestenfalls. Auch nach dem schriftlich vorgelegten Selbstverständnis, in dem die Frauen sich als revolutionäre Bewegung definierten, deren Ziel über eine ökonomische Revolution hinaus der Kampf gegen das patriarchalische Prinzip, die Aufhebung der gerade Frauen treffenden „Trennung von persönlichem und gesellschaftlichem Bereich“ sei — auch danach hielten die Genossen die Frauen nicht für diskussionswürdig. Sie gingen nicht nur kommentarlos zum nächsten Punkt der Tagesordnung über, sondern diffamierten die Aktionsrätinnen als „hysterische Weiber“ und „unbefriedigte Bourgeoise“.
Mit der Tomate begann die Unabhängigkeit
Der Ton stieg auf beiden Seiten. Inzwischen waren die SDSlerinnen zu den Rebellinnen gestoßen. Auch sie mochten nicht mehr länger für die Genossen Denker Kaffee kochen, Flugblätter abziehen und im Namen der sexuellen Freiheit für jeden jederzeit disponibel sein.
Dann klatschte, auf der 23. SDS-Delegierten-Konferenz im Herbst 1968, die spektakuläre Tomate auf die linke Szene. Nun deplazierte sich selbst „Spiegel“-Reporter Schreiber. Seine Klatsch-Seite über den Geschlechterclinch innerhalb der Linken ist ein Paradebeispiel für den Hochmut der Patriarchen aller Couleur. Sie endete mit dem süffisanten Anekdötchen über die aufmüpfige SDSlerin, die zu ihren rebellierenden Schwestern stößt und schüchtern fragt: „Hat nicht eine von euch ein Tampon für mich?“
Spiegel-Moral: Und ewig blutet das Weib. Da kann sie noch so emanzipiert tun, die Periode hat sie doch und die Kinder obendrein. Vor allem in einem Staat mit ideologischem und juristischem Gebärzwang. Frau bleibt eben Frau — für den Spiegel so gut, wie für die Bibel und den SDS.
Die Genossinnen zogen die Konsequenzen, trennten sich von dem „aufgeblasenen konterrevolutionären Hefeteig“ SDS und bildeten in mehreren Städten autonome Frauengruppen. Ideologisch aber blieben sie den Genossen hörig, innerhalb der Frauengruppen bildeten sich die gleichen Hierarchien: Mit den Männern waren die männlichen Kriterien, war der Leistungs- und Legitimationszwang noch lange nicht ausgeschlossen. Mit dem Verscheiden des SDS verschieden auch die meisten Frauengruppen, die drei letzten verbarrikadierten sich in einem theoretischen Ghetto. Der einstige „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen“ wurde in den Monaten des in Berlin besonders heftig wütenden anti-autoritären Katzenjammers umstrukturiert in eine Kader-Organisation mit fester Mitgliedschaft und Schulungsgruppen und im Dezember 1970 umbenannt in „Sozialistischer Frauenbund Westberlin“.
Zum Sozialismus der Feminismus
„Das“, so kommentierten die neuen Frauenbündlerinnen, „drückt das veränderte Bewußtsein und Selbstverständnis aus, das aus der seit 1969 konsequent durchgeführten marxistischen Schulung resultiert. Wir organisieren uns zunächst separat als Frauen, um in theoretischer Arbeit die Ansatzpunkte zur spezifischen Frauenagitation herauszufinden. Wir sehen dies als Voraussetzung, um unter Führung der Kommunistischen Partei unsere Aufgabe im Klassenkampf zu übernehmen.“
Kaum steh’n sie auf den Füßen, da soll’n sie auch schon im Gleichschritt marschieren. Nein, die Mehrheit der 218-Gruppen und auch die beiden anderen sozialistischen Frauenorganisationen erteilten den ideologischen Bevormundungs-Versuchen der Frauenbündlerinnen auf dem Kongreß eine Absage. Nach Frankfurt kam auch erstmals wieder eine neue Berliner Gruppe: „Brot und Rosen“, in der sich auch einige der verprellten Ex-Aktionsrätinnen wiedergefunden haben, unter anderen Helke Sanders. Sie, der Frankfurter Weiberrat und die Münchener „Gruppe zur Befreiung der Frauen“ erschienen auf dem Kongreß mit dem Schlachtruf: „Feminismus und Sozialismus schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich!“ Zum erstenmal überhaupt wagten damit Frauen in Deutschland den selbst in Bürgerkreisen bisher höchst suspekten Begriff „Feminismus“ zu rehabilitieren.
„Der feministische Ansatz,“ argumentierte der Weiberrat, „das heißt die Einsicht in die geschlechtsspezifische Unterdrückung der Frauen, ist wichtig und schließt sich für uns nicht aus mit einer sozialistischen Perspektive. Im Gegenteil, der Feminismus trägt an den Befreiungskampf neue Fragestellungen heran. Wir wollen nicht die Fehler der Arbeiterbewegung wiederholen: Wir Frauen wollen uns nicht reduzieren auf irgendwelche Handlangerdienste, sondern im Befreiungskampf unseren Kampf ebenfalls führen.“
Ob kollektiv im Weiberrat oder isoliert in der Vorstadt, erst in der Gemeinsamkeit der Aktion 218, der ersten von Frauen initiierten und von Frauen getragenen frauenspezifischen Kampagne überhaupt, erkannten sie ihre eigene Betroffenheit, sahen sie die gesellschaftlichen Zusammenhänge für ihre bis dahin für individuell gehaltene Misere.
Zu optimistisch waren die couragierten Suffragetten beim Kampf für das Wahlrecht gewesen: Sie vergaßen, daß eine Freiheit, deren man sich nicht zu bedienen weiß, keine Freiheit ist. Das ist mit dem Wahlrecht nicht anders als mit der Pille (nur jede fünfte Frau in der Bundesrepublik nimmt die Pille — jede zweite treibt ab).
Von einer stimmlosen Mehrheit zum gewichtslosen Stimmvieh befördert, wählen Frauen auch ein halbes Jahrhundert nach Erringung des Wahlrechtes noch die Parteien, die ihnen am übelsten wollen. In der Aktion 218 haben sie dazugelernt. Am vergangenen 6. und 20. November protestierten Frauen in der ganzen Bundesrepublik gegen den Gebärzwang und skandierten: „Von Frauen, die er quält, wird Jahn nicht mehr gewählt.“ Und sie gingen noch weiter. Auf dem Frankfurter Kongreß resümierten die Gruppen: „Wir haben durch die Erfahrung in der Aktion 218 begriffen: Diskussionen mit Parlamentariern und Forderungen der Betroffenen an die Parteien führen zu nichts. Die Parteien haben entlarvt, wessen Interessen sie vertreten. Daraus folgt: Frauen sind gezwungen, ihre Interessen selbst zu vertreten. Sie müssen sich zusammenschließen.“
Sollen alle Frauen unter einen Hut?
Das Bonner Mauschel-Hearing im April stürmten die Frauen mit dem Ruf: „Schluß mit dem Unsinn! Weg mit dem Paragraphen!“ Die hartnäckigste unter ihnen mußte zum Befremden der Herren Volksvertreter aus dem Saal getragen werden. Frauen sind keine unterdrückte Minderheit sondern eine unterdrückte — Mehrheit. Das Anklägerinnen-Potential auf dem Kölner-Tribunal wird groß sein: 79 Prozent aller befragten Frauen in der Bundesrepublik, das mußte selbst das regierungsentlohnte Wickert-Institut feststellen, sind gegen den § 218.
Seine Abschaffung steht an erster Stelle auf dem Forderungs-Katalog des Frankfurter Kongresses. Weitere Punkte:
- gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit (und dazu die Abschaffung des Hausarbeits-Gesetzes § 1356),
- die Vergesellschaftung der Hausarbeit (Großküchen sollen der Hausfrau zeitraubende Vorarbeiten wie z. B. Kartoffelschälen abnehmen),
- Teilzeitarbeit für Mann und Frau,
- Gratis-24-Stunden-Kindergärten und Ganztagsschulen,
- ein Babyjahr für Mutter oder Vater statt des üblichen Mutterschutzes von 6 Wochen vor und 8 Wochen nach der Geburt,
- die steuerliche Gleichstellung von unverheirateten mit verheirateten Paaren,
- und die Errichtung von Großwohnungen zu niedrigen Mieten, um die Isolation der Kleinfamilie aufheben zu können.
Soweit die Theorie. Aber wie soll sie in der Praxis durchgesetzt werden? Dringendstes Problem innerhalb der Gruppen scheint heute die Frage der Organisation oder Nicht- Organisation zu sein — eine Frage, die sich übrigens im Ausland kaum gestellt hat. Die Französinnen zum Beispiel haben sich, wie auch die Amerikanerinnen, von Anbeginn an als „Bewegung“ begriffen, innerhalb der lediglich versucht werden sollte, den Frauen ein Gefühl der Solidarität und der Stärke zu vermitteln. Es gab bei ihnen nie den Versuch, sofort alle Hausfrauen, alle Studentinnen, alle Mütter, alle Lesbierinnen, alle Sekretärinnen, alle Konsumentinnen — kurz, Frauen unterschiedlicher Bedürfnisse und unterschiedlichen Bewußtseinsstandes, unter EINEN Hut, in EINE Organisation, auf EINE politische Linie zu bringen. Sie gehen davon aus, daß Organisation an sich für Frauen repressiv ist, stellen Macht und Hierarchie in Frage. Es gibt keine Redeordnungen und keine Schulungsgruppen. Einzige Klammer der Pariser Bewegung zum Beispiel ist für die 30 bis 40 Arbeitsgruppen, die sich inhaltlich und personell oft überschneiden, eine zweimal im Monat stattfindende Vollversammlung. — Was sich ohne Zweifel oft negativ auf eine kurzfristige Wirksamkeit auswirkt, langfristig jedoch neue Perspektiven erschließt.
Jetzt mucken auch SPD-Frauen auf
Noch breiter gefächert ist die amerikanische Bewegung. Es scheint, daß gerade das Zusammenspiel zwischen revolutionären und reformistischen Gruppen eine fruchtbare Wirkung gehabt hat bei der Sensibilisierung der Bevölkerung und der wachsenden Bedeutung der Frauenfrage.
In der Bundesrepublik, wo die Frauenbewegung am Anfang steht, zeigen sich nach ersten spröden Organisationsansätzen Tendenzen einer weniger einengenden, flexibleren Konzeption. Auch die Frauen, die bereits in Organisationen und Parteien sind, beginnen aufzumucken. So machten Frankfurter SPD-Frauen zum Muttertag ein munter-aggressives Flugblatt („Zum Muttertag bekommt Mutti einen Blumentopf und eine Schachtel Mon Cherie — damit sie Kinder in eine kinderfeindliche Welt gebiert und nicht die Abschaffung des § 218 fordert…)
Bayrische DGB-Frauen forderten auf der Landeskonferenz im Sommer vergangenen Jahres einen „Ehevertrag, der den Ehemann zur Mitarbeit im Haushalt verpflichtet.“ Frauen der Frankfurter Gruppe „Revolutionärer Kampf“ schließlich drückten den Aufstand der Frauen auf ihre Weise aus. Sie tönten auf den letzten Genossen-Demonstrationen: „Die Herrschaft der Schwänze hat ihre Grenze!“
(Quelle: Alice Schwarzer: Männer, wir kommen! Deutsche Frauen im Aufbrauch. In: Pardon, 1972, Nr. 6)