Susan Brownmiller, 1975 (deutsch 1978)
Vergewaltigung ist nicht die Tat eines verrückten Einzelnen, sondern ein Machtmittel aller Männer gegen alle Frauen. Dies war die wichtigste These in Susan Brownmillers Buch „Gegen unseren Willen“, in dem sie Vergewaltigung unter allen Aspekten untersucht: historisch, im Krieg, im „Alltag“, gegen Mädchen, in der Ehe. Das Buch wurde, als es Anfang 78 erschien, zum großen Erfolg in der Frauenbewegung, zur Diskussionsgrundlage für die zahlreichen in den letzten Jahren entstandenen „Gewalt Frauenhaus- und Anti-Vergewaltigungsgruppen.“
Eine Welt ohne Vergewaltiger wäre eine Welt, in der Frauen sich frei, ohne Angst vor Männern, bewegen könnten. Daß einige Männer vergewaltigen, reicht als Bedrohung aus, um die Frauen im Zustand fortwährender Einschüchterung zu halten, sich ständig bewußt zu sein, daß das biologische Werkzeug des Mannes etwas Furchtbares ist, das sich urplötzlich in eine Waffe verwandeln kann. Die Sexualverbrecher haben in der Tat ihre Aufgabe so gut erfüllt, daß die wahre Bedeutung ihrer Taten davon weitgehend überschattet wurde.
Vergewaltigende Männer sind nicht Außenseiter der Gesellschaft oder,,Besudeler der Reinheit“, sondern vielmehr männliche Stoßtrupps, terroristische Guerillas im längsten Krieg, den die Welt jemals gesehen hat. Jede Vergewaltigung ist eine Demonstration von Macht, doch die Täter haben mehr als nur einen körperlichen Vorsprung. Denn die handeln im Rahmen von Institutionen, die ihnen von vornherein Vorteile verschaffen und dem Opfer kaum Gelegenheit geben, zu seinem Recht zu kommen. Beispiele dafür sind Vergewaltigungen in Sklaverei und Krieg.
Doch die Täter können auch ein emotionelles Klima oder ein Abhängigkeitsverhältnis ausnutzen, dessen hierarchische, autoritäte Struktur den Widerstand des Opfers schwächt, seine Urteilsfähigkeit beeinträchtigt und seinen eigenen Willen verwirrt.
Eines der wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung von Amir (von der Universität Pennsylvania. Amir arbeitete über Vergewaltigung mit Material aus der Zentralkartei der Polizei von Philadelphia) ist die Tatsache, daß 43 Prozent der Täter in Philadelphia in Gruppen oder zu zweit vorgingen. Damit ist der weitverbreitete Mythos vom heimlichen Einzelgänger zerstört. Das Durchschnittsalter des Notzuchttäters war 23, doch die Altersgruppe, bei der die Wahrscheinlichkeit von Vergewaltigung am größten war, lag zwischen 15 und 19 Jahren. Die überwiegende Mehrzahl der Täter war unverheiratet, was ihrer Jugend zuzuschreiben ist.
Gruppenvergewaltigung ist nicht einfach der Sieg des Mannes über die Frau, sondern der Sieg von Männern über die Frau schlechthin. In dem Phänomen der Gruppenvergewaltigung ohne die Möglichkeit für die Frau, sich zu Wehr zu setzen, kommt die männliche Ideologie der Vergewaltigung besonders deutlich zum Ausdruck. Zahlenmäßige Obermacht ist Beweis für brutale Absicht, ist auch Beweis „männlicher Kumpanei“, und schließlich Beweis für den Willen, das Opfer über den Akt der Vergewaltigung hinaus durch anonymen Massenüberfall zu erniedrigen.
Bangladesch und Vietnam haben uns gezeigt, daß Männer in Kriegen mit einer ausschließlich männlichen Armee im Rücken, zu der sie eine starke männliche Verbundenheit verspüren, mit Vorliebe in Gruppen vergewaltigen, in denen sie anonym sind und sich sicher fühlen. Auch bei zivilen Gruppenüberfällen setzt sich die männliche Kumpanei durch, ob sich junge Männer an einem Abend zusammenfinden oder ob sie sich bereits vorher zu einer Bande organisiert haben. Der Akt der Gruppenvergewaltigung fördert eine Allianz unter Männern, die sich gegen ein weibliches Opfer richtet, das für ihre Zwecke zur ,,anonymen Frau“ wird.
Eine Frau gemeinsam zu „vernaschen“ stärkt das zweifellos falsche Bewußtsein von Gruppenmacht und -männlichkeit genauso wie eine Managerkantine, zu der nur Männer Zutritt haben; wie eine Expedition von Männern zur Bezwingung des Mount Everest oder eine von einer Männergesellschaft durchgeführte Kanufahrt zur Bewältigung von Stromschnellen (man achte auf die Sprache!).
,,Entgegen früheren Annahmen waren 71 Prozent der Delikte geplant“, schreibt Amir, und auch diese Beobachtung ist überaus wichtig. Vergewaltigungen sind eben für gewöhnlich keine spontanen Ausbrüche unterdrückter Gefühle und unkontrollierbarer Triebregungen, sondern im voraus geplante und sorgsam in Szene gesetzte Taten einzelner Täter oder einer Tätergruppe. In manchen Fällen hatten der oder die Täter ein bestimmtes Opfer im Sinn und lockten es unter kühler Abwägung des Vorgehens in eine Falle. In anderen Fällen war die Tat zwar von einem oder mehreren Leuten geplant, die Auswahl des Opfers jedoch dem Zufall überlassen. Es wurde dann eben die nächstbeste Frau, die vorbei kam, überwältigt, an einen geeigneten Ort geschleppt und dort vergewaltigt.
Die Vergewaltigungen durch Einzeltäter waren nach Amirs Untersuchung zu 25 Prozent nicht geplant. Der spontan vorgehende Täter hat „nicht die vorgefaßte Absicht, das Verbrechen zu verüben“, vielmehr sei der Impuls entweder durch Umstände, wie Ort des Zusammentreffens oder Verhalten des Opfers, ausgelöst worden oder die Urteilsfähigkeit des Täters war zur Tatzeit durch den Genuß von Alkohol getrübt. Aus allen Statistiken geht hervor, daß die Straße, die Wohnung und das Auto für Frauen höchst gefährliche Orte sind. Wo ist es dann eigentlich nicht gefährlich? Man rät für gewöhnlich, Türen und Fenster gut zu verschließen, sich nicht mit Trampern einzulassen und nachts nicht allein in einsame Gegenden zu gehen. Aber diese Vorsichtsmaßnahmen ändern weder etwas an der Ideologie der Vergewaltigung noch tragen sie wesentlich zum Verständnis des Verbrechens bei.
Sexuelle Erniedrigung kam bei Gruppenvergewaltigung häufiger vor als bei Einzeltätern. Die häufigste Form zusätzlicher Demütigung war allerdings der wiederholte Verkehr. Amir meint dazu, ein Teil des „Reizes“ von Gruppendelikten bestehe in der Möglichkeit, „mehrere Male dranzukommen“.
(Auszug in: Schwesternlust & Schwesternfrust – 20 Jahre Frauenbewegung. EMMA Sonderband, Oktober 1991, S. 104.)