Der Spiegel, 11.04.1977
Die Frauenbewegung ist zu einem publizistischen Lieblingsthema avanciert – Alice Schwarzers „Emma“ wird von der Männerpresse gefeiert und von konkurrierenden Frauen-Fraktionen befehdet: Hat sich die Emanzipationsbewegung vom Kampfbund gegen den Paragraphen 218 zum Tante-Emma-Laden für Gesinnungen verharmlost?
Als im Januar dieses Jahres die erste feministische Zeitschrift in der Bundesrepublik mit Massenauflage — Alice Schwarzers „Emma“ — auf den Markt kam, konnte man glauben, die „Männerpresse“ sei über Nacht zum Frauenzentrum geworden.
Die als frauenfeindlich verschrienen Medien schossen Salut, als sei nicht „Emma“, sondern das schwedische Königskind geboren worden.
„Stern“ und „Frankfurter Rundschau“, die „Zeit“ und sogar die „Abendzeitung“, die Alice Schwarzer einmal den „Sex einer Straßenlaterne“ attestiert hatten, kündigten in großer Aufmachung und mit allen guten Wünschen für die Zukunft das neue Zentralblatt einer Bewegung an, die sich so gern „von Repressionen bedroht“ wähnt, indem sie sich rühmt, „das Patriarchat an der Wurzel“ zu treffen und daher „in höchstem Grade bedrohlich für den Staat“ zu sein.
Aus der Bedrohung ist freilich längst, nicht erst seit „Emmas“ Erscheinen, eine wohlfeile Ware geworden, deren Verkaufswert im Kulturbetrieb in dem Maße gestiegen ist, in dem ihr politischer Tauschwert gesunken ist.
Die Entwicklung des Feminismus vom politischen Kampfhund gegen den Paragraphen 218 zum Tante-Emma-Laden für großsprecherische Überzeugungs-Amulette („Uns geht es um die ganz neue Frau . . . Dazu müssen wir eine ganz neue Welt bauen. . . Wir wollen keine Mitbestimmung, keine Partnerschaft. Wir wollen die Macht.“) wurde beschleunigt vom Urteil der Karlsruher Richter, die am 25. Februar 1975 die Fristenlösung für verfassungswidrig erklärten.
Nach dieser Niederlage sannen die Feministinnen nicht etwa darüber nach, wie sie den politischen Druck auf die Öffentlichkeit verstärken konnten, sondern zogen sich in die feministischen Gartenlauben zurück, die jetzt üppig aus dem Boden schossen.
Frauenbuchläden und Frauenkneipen, Frauenverlage und Frauenzeitungen, Frauenrockbands und Frauenplatten (Frauenzigaretten gab es schon): eine Fraueninsel der Seligen entstand, vor männlichen Störenfrieden streng bewacht wie ein Mädcheninternat.
In der Berliner Frauenkneipe Blocksberg („I go a mile for a cola im blocksberg“) wird die Besucherin erst durch ein Guckloch auf ihre Geschlechtszugehörigkeit, auf ihre biologische Verfassungstreue sozusagen überprüft, ehe sie in die Gesellschaft derer vom rechten Geschlecht Einlaß findet.
Bei Dunkelheit weist „frau“ sich „durch kleine spitze Schreie“ aus. „Das reicht: die Tür wird aufgestoßen“.
Die traditionelle Sonderstellung der Frauen, ihre Verbannung aus dem öffentlichen Leben, die Feministinnen einerseits so heftig und mit Recht beklagen, wird andererseits in den Höhlen der Sub-Kultur nicht nur hingenommen, sondern überdies mit „Autonomie gegenüber männlichen Ansprüchen“ verwechselt. Eine Freiheit, die denn doch sehr an die Freiheit jenes Mannes erinnert, der in seiner Badewanne Kapitän ist.
So wurden die entmannten Freiräume der feministischen Kultur unter dem Vorwand der für weibliche Selbstentfaltung unabdingbaren Männeraussperrung vor allem von politisch-gewöhnlicher Realität freigehalten zugunsten einer ganz neuen Wirklichkeit, ausgedacht von Frauen für Frauen.
Frauenbuchläden wollten nicht in gewöhnlicher Männersprache „Buchhandlung“, sondern — wie in Berlin — „Lilith“ oder — wie in Hamburg — „Die Hälfte des Himmels“ heißen.
Der unter normalen Sterblichen als „Hawaii-Toast“ bekannte Imbiß wird, für Männergaumen viel zu chic, in der Frauenkneipe als „Femoes Wunschtraum“ serviert.
Und auch die Frauen in Verena Stefans feministischem Bestseller-Roman mochten nicht als Karin oder Heidi durchs Leben gehen, Fenna und Nadjenka wollten sie getauft sein.
Die auf der feministischen Schönheitsfarm mit allerlei Sprachtinkturen zu exklusiver Einzigartigkeit hochgeschminkte Frei-Frau achtete peinlich darauf, daß sie sich nur ja nicht mit der Millionenwelt gemeinmachte.
Von panischer Furcht befallen, mit der grauen Frau von gestern verwechselt zu werden, erklärte sie kurzerhand Ihren Austritt aus der Gesellschaft, die ihren hohen Ansprüchen nicht mehr genügte.
„Die Frauen“, verkündete das „Journal Frauenoffensive“, „haben diesen Punkt jetzt erreicht… daß sie ein Bewußtsein über sich selbst entwickelt haben, das sich nicht in den gegenwärtig existierenden Symbolen, Formen, Denksystemen, Sprachen, Künsten und Kulturen ausdrücken läßt.“
Das „objektive / logische / verstandesmäßige / wissenschaftlich methodische Denken“ wurde wie in den besten Zeiten des Denkverbots für Frauen den Männern überlassen, während weibliche Erkenntnis sich Praktiken wie „Kaffeesatz- und Handlesen“, „heilen“ und „Hellsehen“ bedienen sollte.
Halb mater dolorosa, halb Hüterin des Weltgeheimnisses, so wallte die Frau, das unerkannte Wesen, auch durch Verena Stefans Roman „Häutungen“, in dem die Ingenieurstochter beachtete, sich „so weit wie möglich von der Alltagssprache“ zu entfernen.
„Die frau, die sich im koitus mit bewegt / kommt von weit her … / hinten ihr tun sich wüsten und abgründe auf / sie hat lange strecken von vergessen zurück / gelegt, herzbrocken im geröll verstreut… / ihre gefühle sind abgemagert … / sie trägt ein Meer von gestauten orgasmen in sich, das sie / in keinen Lebzeiten wird ausgießen können…“
Feminismus als Hausmusik, so war die Frauenbewegung herzlich willkommen in den Medien, die ihre Kulturabteilungen zur Ausstellung des feministischen Kunsthandwerks ebensoweit öffneten, wie sie zuvor das politische Ressort vor den Frauenrechtlerinnen verriegelt hatten, etwa 1974, als Alice Schwarzers „Panorama“-Beitrag über eine illegale Abtreibung vom Programm abgesetzt wurde.
Nach den Gründen dieses Mißverhältnisses zwischen „permanentem xxxrbaugerede über die linkshändige xxxder die sich häutende Frau“, zwischen den „ästhetisch-literarischen Aktivitäten an der Klagemauer“ einerseits und der unveränderten gesellschaftlichen Situation jener einzigen Mehrheit, die sich nach wie vor verhält wie eine Minderheit und auch so behandelt wird“. Andererseits, nach den Gründen dieser Diskrepanz zwischen feministischer Kulturbetriebsamkeit und politischer Wirkungslosigkeit fragt jetzt das eben erschienene „Kursbuch“, das sich kritisch mit dem deutschen Feminismus auseinandersetzt.
Die Angriffe von Frauen gegen Frauen richten sich vor allem gegen den Männerboykott der Emanzipationsbewegung. Die „Kursbuch“-Kritikerinnen sehen in der „rigiden Etablierung eines männlichen Feindbildes“ einen „unbewußten Widerstand gegen die Emanzipation selbst“, eine Art Zauberstab, mit dessen Hilfe die inneren Konflikte von Frauen lediglich unsichtbar gemacht, nicht aber bearbeitet werden.
In der Tat beschäftigen sich die Feministinnen in ihren Publikationen auffallend wenig mit den weiblichen Konflikten, die sie lediglich zu einer wahllosen Sammlung von Indizienbeweisen dafür anhäufen, daß den Frauen und sonst niemandem die Dornenkrone gebührt.
Berufsverbot? Lächerlich, empört sich im „Frauenjahrbuch ’76“ eine leidenssüchtige Tochter des sogenannten feministischen Feminismus. „Uns werden unsere Fähigkeiten von Kind auf abgewürgt, wir haben schon immer Berufsverbot.“
Und selbst Alice Schwarzers von den Spinnweben Höherer-Töchter-Mythologie befreite „Emma“ geht, an Einzelheiten wenig interessiert, auf weltweite Jagd nach jenen Minuspunkten, die den Frauen die Tabellenspitze in Unterdrückung sichern.
Frauen treten daher auch in „Emma“ nicht als leidende Subjekte, sondern nur als Demonstrationsobjekte der von Männern geschundenen Gattung auf, die aus allen sozialen und kulturellen Zusammenhängen herausgelöst wird, so daß sich ein Artikel über die Klitorisbeschneidung in Dschibuti nicht anders liest als die Abrechnung mit bundesdeutscher „Männerjustiz“.
Den Vorwurf der „Kursbuch“-Autorin Moeller-Gambaroff, die Emanzipationsbewegung habe es „bisher vermieden, sich mit spezifischen weiblichen Ängsten bei der Identitätsfindung auseinanderzusetzen“, variiert die Südfunk-Redakteurin Marlis Gerhardt in einem Aufsatz gegen den „neuen Weiblichkeitswahn“ der Frauenbewegung.
Ausgehend von Verena Stefans „Häutungen“ und von der feministischen Verweigerungs-Kultur insgesamt, in der Frauen „zu ihrem verborgenen ,wirklichen Wesen'“ vorzustoßen glauben, stellt sie fest, daß in diesen Freiräumen nur „gut und böse zusätzlich mit den Vorzeichen ,männlich‘ und ,weiblich‘ versehen werden“.
Und sie folgert: „Die Festschreibung der Differenz zwischen den Systemen männlich und weiblich“ konserviert nur die „gewohnten (Rollen-) Bilder“ und „kulturspezifischen Projektionen“ „im Namen des Feminismus“.
An Beispielen dafür mangelt es nicht.
So wird etwa im „Frauenjahrbuch“ den Frauen schlankweg die Fähigkeit zu politischer Arbeit abgesprochen wie anno tobak.
Nur, daß es jetzt nicht mehr Männer sind, die Frauen einreden, für Politik seien sie nun mal nicht geschaffen, sondern, daß Frauen selber nun freiwillig auf die Männerdomäne verzichten.
„Wir wollen uns nicht auf ihrer Ebene durchsetzen, weil du dich dann erst mal auf ihre Strukturen einlassen mußt.“
Und in der Begründung für diesen Rückzug wird die Frau dann ganz ungeniert zum politischen Dummerchen gestempelt, das sich aus Parteien und Gewerkschaften besser raushält.
Denn: „Dazu ist das Patriarchat in unseren eigenen Köpfen und Strukturen zu sehr verankert, als daß wir’s bringen könnten, während einer Partizipation an ihrer Politik grundlegend andere Vorstellungen zu entwickeln.“
Etwas subtiler bestätigt „Emma“ unter der Überschrift „Wirtschaft interessiert mich nicht!“ ihren Frauen das Desinteresse an Wirtschaftspolitik als „sicherlich gut und richtig“.
Während sie in praktischen Dingen mit Ratschlägen für die Reparatur von defekten Elektrosteckern und für die Reinigung von verstopften Abflüssen zu Hilfe eilt, läßt sie es in politischen Dingen beim Fluch auf das „Abrakadabra der Wirtschaftspolitik“ bewenden, statt sich an die Übersetzung der „Geheimwissenschaft“ zu machen.
Sogar Alice Schwarzer persönlich ist, wo sie sich nicht hinterm bösen Mann verstecken kann, plötzlich beseelt vom Frauenideal der Hedwig Courths-Mahler.
In einem Romy-Schneider-Porträt begeistert sie sich: „Was für ein entwaffnendes Nebeneinander von Dominanz und Demut, von Intelligenz und Irrationalität … Welches Nebeneinander von Stärke und Schwäche!“
In der Linkszeitschrift „Konkret“ empörte sich dann auch NDR-Redakteurin Brigitte Rohkohl: „,Emma‘ ist eine Zeitung von Frauen gegen Frauen. Die Emanzipation der Frau wird auch eine Emanzipation von ,Emma‘ sein müssen.“
Bei derlei Kritik von Frauen an Frauen, die nicht mehr als ruchloses Männerwerk abgetan werden kann, zeigt sich erst recht, daß und wie das männliche Feindbild die weibliche Selbstwahrnehmung blockiert.
Ohne jedes Anzeichen von Argumentationsbereitschaft zeigte „Emma“ in einer Entgegnung mit vor Häme klebrigem Finger auf die Abtrünnige aus dem Einheitsgeschlecht: „Rotkohl heißt sie. Brigitte.“
Für so eine waren flugs auch gleich die bekannten liberalen Herrensätze zur Hand, die sich im gegen Männer vakuumdicht verschlossenen Bewußtsein frisch gehalten hatten.
„Jede Zeitschrift“, zuckte „Emma“ staatsmännisch mit den Achseln, „hat halt die Schreiber(innen), die sie verdient.“
Und nach der Art eines Vertreters der ausgleichenden Mitte warf „Emma“ „Konkret“ hurtig in einen Topf mit der „National-Zeitung“, in der ein Herr Mahncken geschrieben hatte, Alice Schwarzers schmähliches Druck-Erzeugnis sei „heute nur möglich, weil es einmal eine Frau gab, die Gutenberg die Suppe kochte“.
Neben anderen Gründen für die politische Wirkungslosigkeit der Frauenbewegung ist die feministische Verweigerung der Selbstkritik ein weiterer Hemmschuh beim Vormarsch.
Denn mittlerweile gibt es innerhalb der Frauenbewegung kaum noch eine Gruppierung, die nicht der anderen die Rechtgläubigkeit streitig macht.
Und das klingt dann so wie in dem offenen Brief der feministischen Journalistin Karin Huffzky an Alice Schwarzer: „Du, Alice, residierst in einer Ia Villa am Kolpingplatz in Köln, Zentrum. Ich habe eine Dreizimmerofenheizungswohnung in Berlin-Tempelhof. Miete: 230,- Mark monatlich. Und das ist nur ein Unterschied zwischen uns. Belassen wir es bei dem einen.“
Aber selbst in der Lobeshymne der Schriftstellerin Karin Struck, die sich bei Alice Schwarzer dafür entschuldigt, daß sie nicht Mitglied der Frauenbewegung sei, sie jedoch „immer innerlich bejahen und verteidigen“ werde, selbst in dieser solidarischen Grußadresse — „Ich bewundere Alice!“ —, wird doch nur die überirdische Schwäche der Frauen beschworen.
„Ob Marilyn Monroe, ob Romy Schneider, ob Alice Schwarzer, ob Karin Struck — es sind Frauen, die voller Verzweiflung und Kraft ihre Identität suchen … diese Frauen (sind) nicht weit vom Selbstmord, nie. Sie tragen die ganze Geschichte der Kälte der Frauen, die über sie gefallen ist, in sich und um sich.“
Wenn auch Karin Struck von den Männern, diesem „fremden, merkwürdigen Geschlecht“, nicht lassen mag, „Emma“ findet sie trotzdem „notwendig, so notwendig wie nichts“.
(Quelle: Der Spiegel, Nr. 16, 11.04.1977, S. 174-180)