Auf den Bierernst des „deutschen Herbst“ konnten und wollten einige Feministinnen nur noch ironisch bis ausgeflippt reagieren. Dieser Text einer Frankfurter Gruppe war unter den wenigen Reaktionen überhaupt aus der Frauenbewegung einer der raren, die sich nicht mit der klassisch-linken Kritik an der Repression begnügten, sondern darüber hinaus versuchten, bewußt als Frauen einen Standpunkt zu beziehen.
PRÄAMBEL
Die Mütter, die Töchter, die Frauen dieses Landes verlangen, aus der Nation, die nur Unglück hervorbringt, entlassen zu werden, der Ernst der Lage verbietet eine weitere Verschärfung des Ernstes. Deshalb nehmen wir das Recht des Lachens in Anspruch. Wir sagen uns hiermit feierlich los von einer Rechtsgemeinschaft, mit der wir noch nie gemein waren und die uns immer höchst gemein behandelt hat! Wir erklären weiterhin, daß wir nicht bereit sind, beim Totentanz mitzumachen oder zuzuschauen. Schon der Anblick aus der Ferne widert uns an! Deshalb Frauen, formiert den Widerstand gegen das allgemeine Unglück! § 1 Hört, wir verkünden hiermit folgende große Wahrheit:
- Die Macht läßt sich nicht erschießen.
- Die Gegenmacht läßt sich nicht erschießen.
- Erschießen lassen sich nur Menschen.
Da Menschenerschießen nicht sehr moralisch ist, leugnen die Schützen auf beiden Seiten, daß das, was da erschossen wird, Menschen sind. Das ist die Logik der gegenseitigen Ausrottung. Das ist die präzise Logik der Macht. Und die Unmoral dieser Wahrheit ist: der kleine Mann und die kleine Frau werden immer schärfer darauf, mitzuspielen, mitzujagen . . . Also spricht Zarah Zylinder: die Wahrheit ist wahrlich häßlich und gräßlich! Schaffen wir uns eine bessere Wahrheit!
§ 2 Wir nehmen uns das elementare Recht, in der Erfindung des Glücks nicht dauernd durch Mord und Totschlag, Gefangennahme und Gefängnis, Fahndung und Hetze behindert zu werden. Wir schlagen vor, daß die Kriegsführenden Parteien ihre Fürsten ins Duell schicken, damit sie ihre Sache unter sich erledigen können. Uns aber sollen sie damit endlich in Ruhe lassen! Auch sprechen wir ihnen fürderhin jede Legitimation ab, ihre Kämpfte im Namen irgendeines zu verteidigenden Rechts, irgend einer zu verteidigenden Freiheit, Ehre, Erde, irgendeines zu verteidigenden Kindes oder irgendeiner zu verteidigenden Frau zu führen!
§ 3 Wir erklären, daß wir aus der Normalität der Totengräber austreten. Wir rücken ab! Und werden alle verrückt. Damit wir leben können. Und wir sind begierig zu leben. Deshalb: Bye bye Baby!
Wir beanspruchen ausdrücklich das Recht, unlogisch zu sein, und zwar noch unlogischer, als wir es ohnehin schon immer waren!
§ 4 Wir, die Frauen aller Altersklassen, leben schon immer im Exil. Aus unseren tausend Exilen verkünden wir: das Glück befindet sich jenseits der Maschinenvernunft und der seichten Gefühle.
§ 5 In der Erfindung des Glücks vertrauen wir auf das Chaos in uns. Zu Ende ist es mit dem Zeitalter der Ordentlichkeit. Schluß ist es mit den sauberen Wohnungen, der sauberen Selbstgerechtigkeit, den frischgebügelten Männerhemden, den ängstlichen Kindern.
§ 6 Gerade weil wir schon immer der Sand im Getriebe der Maschinenvernunft waren, wurde viel getan, unsere Sanftmut zu züchten, unsere Wut zu unterdrücken, uns in die Vernunft hineinzupressen. Indem wir hier und jetzt den labilen Kontrakt aufkündigen, erkennen wir die Marktplätze und die Politik als das, was sie immer waren: Plätze der öffentlichen Unzucht, der wir allzu lange ausgeliefert waren. Deshalb erklären wir die Marktplätze und die Politik zum Müllhaufen der Geschichte, auf dem wir abladen werden, womit wir gepeinigt wurden: die blödsinnigen Maschinen, die sie uns seit Jahrzehnten aufgeschwatzt haben, die Ideologie der aufopfernden Liebe, die sie uns seit Jahrhunderten andrehen, u.v.a.m.!
§ 7 Wir sagen in aller Öffentlichkeit: wir sind süchtig, sehn-süchtig und durch nichts aufzuhalten in diesem Begehren, unsere Wildheit, unsere Stille, unsere Lust zu leben!
Frauen mit und ohne Mann! Frauen mit und ohne Angst! Seid leichtmütig, werdet Ausbrecherinnen aus der Gewaltnation! Ausbrecherinnen aus der Schreckensherrschaft! Tanz! Tanzt aus der Reihe!
FRANKFURT, OKTOBER 1977
(Auszug in: Schwesternlust & Schwesternfrust – 20 Jahre Frauenbewegung. EMMA Sonderband, Oktober 1991, S. 114.)